- 313 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (312)Nächste Seite (314) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



welch seltsame und rätselhafte Sitte doch der Applaus ist! Mag sich auch mancher Künstler im einzelnen gegen die laute Unterbrechung einer von ihm geschaffenen Stimmung innerlich wehren, mag er sich vielleicht auch manchmal der Sitte des ”Komplimentemachens“ gegenüber seiner Gemeinde mit einem persönlichen Gefühl feindlich einstellen, im wesentlichen würde ein Künstler, der behauptet, laute Resonanz nicht zu brauchen, entweder keiner sein oder unaufrichtig gegen sich oder andere. Wie seltsam an sich der Brauch, zur Auslösung einer erzeugten Spannung die Hände laut klatschend zusammenzuschlagen! Und doch, mag uns dies der Intellekt auch immer wieder sagen, gefühlsmäßig werden wir über die Natürlichkeit dieser Sitte immer wieder belehrt. Der Applaus mit seinen verschiedenen Nebenformen ist ebenso uralt wie das Bedürfnis einer kinetischen Spannungsauslösung in jeder Art von Gemeinde. Tänzerische Elemente spielen hier mit hinein. Mystische Urzusammenhänge offenbaren sich uns und bleiben wie das Letzte in der Kunst zugleich geheimnisvoll verschleiert.


Die klar hervortretende kultische Bedeutung des Konzertsaals wird somit zu einer scharfen Kritik am Radio, und zwar in engster Wechselwirkung aller hier angeführten einzelnen Tatsachen.


Aber damit sind die Einwände, die von der traditionellen Musikübung gegen den Konzertsaal gemacht werden können und müssen, durchaus nicht erschöpft. Vielfach ist auf die Unmöglichkeit einer Verschmelzung von Technik und Kunst hingewiesen worden. Wenn man auch hier nicht generalisieren darf, so bleibt für unser besonderes Problem doch übrig, daß der Rundfunk, dem der unbegrenzte Wellenfang aus dem Äther zur Verfügung steht, ein gefährliches Spielzeug antikünstlerischer Art werden kann. Die Möglichkeit, einmal hier, einmal dort ein Stück zu holen, die andere ferner, in jedem Augenblick ein- und auszuschalten, mindert den Ernst und die Ehrfurcht. Erst eine künstlerische Erziehung der Rundfunkhörer könnte diesem Übelstande steuern.


Große Gefahren liegen in dem natürlichen Zentralisationsbetrieb, der nun einmal dem Sendewesen innewohnt und innewohnen muß. Jede künstlerische Kultur steht und fällt aber mit der Mannigfaltigkeit einer möglichst großen Zahl lokaler Eigenerlebnisse. Dabei ist unser Sendewesen heute noch verhältnismäßig dezentralisiert: man male sich die Zukunftsperspektiven bis zum zentralisierten Welteinheitssender aus, in dem dann der gesamte Musikbedarf der Erde


Erste Seite (1) Vorherige Seite (312)Nächste Seite (314) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 313 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik