- 312 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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parallel zu der religiösen Gemeinschaft. Einer der bedeutungsvollsten Vorgänge beim Kunsterlebnis, also bei der Katharsis des Rezeptiven, ist die Typisierung seiner individuellen Gefühle und Affekte im Kunstwerk. Das Einswerden mit einer Gemeinde unterstützt diesen Vorgang entscheidend. Das Überpersönliche der Kunst wird eindringlich zum Bewußtsein gebracht. Man wende hier nicht ein, daß das modische Publikum von heute der Sammlung für die Kunst geradezu feindlich gegenüberstehe. Man kann Wesentliches nie aus seinen Entartungserscheinungen beurteilen. Gerade neueste Strömungen des Musikalischen weisen uns den richtigen Weg. Es wird soviel von Gemeinschaftskunst gesprochen. Die musikalische Jugendbewegung erkennt gerade in der Gemeinschaft Gleichgesinnter und Gleichfühlender sogar nicht einmal nur eine wesentliche Voraussetzung, im Gegenteil, überhaupt das Wesentliche der Musik. Mag hier eine Übertreibung vorliegen: ausschlaggebend bleibt für uns, daß überall da, wo die ernst strebende Kunstgemeinde erscheint, in dieser ein deutlich wahrnehmbarer kultischer Zug hervortritt.


Im Religiösen ist hierbei aber nicht nur die Gemeinde allein maßgebend, sondern auch die Gemeinschaft mit dem Priester. Das Einswerden zwischen Produzierendem oder Reproduzierendem auf der einen Seite und Rezeptivem auf der andern ist denn auch ein wesentlicher und nicht auszuschaltender Faktor bei der Musik. Jeder Künstler, der auf dem Podium zu stehen gewohnt ist, weiß, was für ihn und seine Leistung der Kontakt mit seiner Hörerschaft bedeutet. Andererseits stellen wir ebenso täglich fest, daß ein besonderer Bestandteil des künstlerischen Erlebnisses in irgendeiner Strahlung besteht, die von der Persönlichkeit des Künstlers unmittelbar ausgeht. Warum hat der eine überall bereits das für sich, was man den Erfolg nennt, wenn er nur das Podium betritt, während der andere, den man objektiv als durchaus gleichwertig oder vielleicht sogar vollkommener in seiner Leistung bezeichnen muß, um diesen Kontakt, den der andere von selbst hat, um diese subjektiven Imponderabilien oft allzu schwer ringen muß? Wir erkennen an allen diesen Erscheinungen, daß in dem Verhältnis zwischen Künstler und Publikum geheimnisvoll magische Beziehungen mitspielen, die wir in Worte nicht fassen können, auf denen aber ein wesentlicher Teil der kultischen Bedeutung dieses Gemeinschaftserlebnisses beruht. Man denke nur in diesem Zusammenhange einmal darüber nach,


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