- 310 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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aller offizieller Anerkennung des Radios fortbesteht. Wir können auch nicht verkennen, daß die Einwendungen, die hier gemacht werden, außerordentlich gewichtig sind, und zwar, um dies gleich vorwegzunehmen, so gewichtig, daß sich Für und Wider auf beiden Seiten die Waage halten.


Der Musiker, der im Konzertraum zu hören gewohnt ist, stößt sich vor allem zunächst an der Verzerrung des Klangbildes. Allerdings ist hier eine abschließende Beurteilung heute unmöglich; ja wir können vielleicht sogar annehmen, daß in dem Augenblick, wo diese Zeilen niedergeschrieben werden, irgendeine Erfindung gemacht wird, die alle bisherigen Begriffe wieder auf den Kopf stellt. Ferner dürfen wir nicht außer acht lassen, daß man sich in jede Akustik mehr oder weniger hineinhören muß und daß sich vor dem Ohr des geübten Radioempfängers das Klangbild durchaus anders gestaltet als vor dem des Gelegenheitshörers. Immerhin vermögen wir aber heute doch schon zu erkennen, wo die letzten Grenzen der Vervollkommnung liegen werden, was noch zu erreichen sein wird und was unerreichbar bleibt. Die parallelen Erfahrungen mit Schallplatte und Tonfilm zeigen uns, daß zwei akustische Phänomene offenbar von dem gemeinschaftlichen Raum zwischen Musizierendem und Hörendem abhängig sind: die Klangfarbe und die Dynamik. Beide Elemente sind mindestens für die Musik von 1750 bis zur Gegenwart von ausschlaggebender Bedeutung. Die Musiker haben somit vollkommen recht, wenn sie die Aufführung dieser Musik durch den Rundfunk ablehnen. Schon die Feststellung aber, daß grundsätzlich nicht alle und jede Musik, sondern nur die bestimmter Abschnitte der Musikgeschichte sich für die Übertragung nicht eignet, muß uns dem Gedanken nahebringen, daß es sich hier vielleicht doch nicht nur um einen Konflikt zwischen Absicht und unvollkommenen Mitteln handelt, sondern um etwas Tieferes, um ein Stilproblem. Diese Frage wird uns aber später zu beschäftigen haben.


Bedeutungsvoller tritt uns ein anderer Einwand entgegen, der sich auf das Verschwinden der unmittelbaren Erlebnisgemeinschaft zwischen dem Musizierenden und den Hörenden bezieht. Äußerlich betrachtet, will es hier scheinen, als ob es hierbei sich im wesentlichen um das Ausschalten des optischen Elementes in der Musik handle. Da hat nun aber das Radio wichtige Kronzeugen für sich. Richard Wagner hat sein Orchester in den mystischen Abgrund versenkt, und eine


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