- 30 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


sondern gleichsam eine hin und her gehende, fluktuierende Bewegung — und aus ihr kristallisiert sich erst allmählich die Form heraus, in der der Mensch sein eigenes Sein wie das Sein der Gegenstände begreift.


Wenden wir diese allgemeine Einsicht auf das Problem, das hier vorliegt, an, so sehen wir, daß der Mensch im magischen, wie im technischen Verhalten, nicht schon eine bestimmte Form der Welt hat, sondern, daß er vielmehr diese Form erst suchen und sie auf verschiedenen Wegen finden muß. In welcher Art er sie findet: das hängt hierbei von dem dynamischen Prinzip ab, dem die Gesamtbewegung des Geistes folgt. Nimmt man an, daß schon in der magischen Auffassung der Natur das Prinzip der “Kausalität”, die Frage nach den “Gründen” des Seins und nach den “Ursachen” des Geschehens waltet — so fällt damit die Scheidewand zwischen Magie und Wissenschaft dahin. Es ist einer der besten Kenner der magischen Phänomene, der in seiner Darstellung dieser Phänomene diesen Schluß ausdrücklich gezogen hat. Indem Frazer in seinem Werk “The Magic Art” den Tatsachenbereich der magischen Kunst in seiner ganzen Weite vor uns auszubreiten sucht, knüpft er an die Beschreibung dieses Tatsachenbereichs zugleich eine bestimmte Theorie über Sinn und Ursprung der Magie. Und sie wird ihm hierbei zu nichts anderm und zu nichts Geringerem als zum ersten Anfang der “Experimentalphysik”. In der Magie gewinnt der Mensch die erste Anschauung eines objektiven Seins und Geschehens, die nach festen Regeln geordnet sind. Der Lauf der Dinge stellt sich ihm jetzt als ein geschlossener Nexus, als eine Kette von “Ursachen” und “Wirkungen” dar, in die keine jenseitige übernatürliche Macht nach Willkür eingreifen kann. Hierin trennt sich, nach Frazer, die Welt der Magie scharf und klar von der religiösen Welt. In der religiösen Anschauung unterwirft sich der Mensch fremden Gewalten, denen er das Ganze des Seins anheim gibt. Hier gibt es noch keinen festen Naturlauf: denn die Welt hat noch keine eigene Gestalt und keine eigene Macht, sondern sie ist ein Spielball in der Hand überlegener transzendenter Kräfte. Eben diese Grundauffassung aber ist es, gegen die die magische Weltansicht sich auflehnt. Sie faßt die Natur als ein streng determiniertes Geschehen und sie sucht in das Wesen dieser Determination einzudringen. Sie kennt im Grunde keinen Zufall, sondern sie erhebt sich zur Anschauung einer strengen Gleichförmigkeit des Geschehens. Und damit erst erreicht sie, im Gegensatz zur Religion, die Stufe wissenschaftlicher Welterkenntnis.


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