- 308 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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lassen. Damit ist aber auch die Abhängigkeit der gutgebildeten Stimme vom Mikrophon erschöpft. Alles andere beruht darauf, daß die unmusikalischen Nebengeräusche falscher Tonbildungen vom Mikrophon unbarmherzig aufgenommen werden. Richtiges Singen beruht eben auf der Produktion möglichst reiner und von Nebengeräuschen freier Töne. Jede Art von Verkrampfung, aber auch alles flache und hauchige Singen bringt solche Verunreinigungen des Tones hervor, die wir dann im Lautsprecher, wo wir überdies in keiner Weise durch den optischen Zusammenhang mit dem Sänger und durch die besonderen Gesetze der Akustik im gemeinsamen Raum zwischen Sänger und Hörer abgelenkt sind, ohne Einschränkung wahrnehmen. Ebenso hören wir jede Veränderung der Tonhöhe und empfinden sie peinlich. So fällt z.B. beim Chorsingen jedes Detonieren, im besonderen jede zu tief gegriffene Terz, viel unangenehmer auf als im Konzertsaal. Was vom Sänger gilt, zeigt sich auch beim Instrumentalisten; ganz besonders Verkrampfungen des Pianisten werden für das geübte Ohr bemerkbar, ebenso etwa jede Verkrampfung des rechten Armes beim Streicher. Um hier zu hören, muß man natürlich mit den Ohren des Musikers Erfahrungen gesammelt haben. Der Laie empfindet nur, daß irgend etwas nicht richtig ist, und hat irgendein unbehagliches Gefühl. Aber auch ihm wird verständlich werden, was der Musiker hier zu beobachten imstande ist, wenn man ihn auf einen Parallelfall verweist, nämlich auf den Redner, bei dem er jede Art von falschem Sprechen sehr bald nachzuweisen imstande ist. Wie stark hierbei richtige oder falsche Körperhaltung mit ins Gewicht fällt, mag ein Beispiel erläutern: man vergleiche einen Redner, der frei spricht, also mit gerader Körperhaltung direkt ins Mikrophon, und einen solchen, der vom Manuskript abliest und hierbei entweder sitzend oder stehend eine leicht gebückte Haltung einnimmt. Nicht nur deshalb, weil im einen Fall der Ton unmittelbar dem Mikrophon entgegengeht und im andern indirekt, sondern vor allem wegen der bewegungsphysiologischen unrichtigen Haltung des Brustkorbes wird der Eindruck wesentlich beeinträchtigt. Was wir am Tonlichen wahrnehmen, gilt übrigens ebenso beim Rhythmischen und Agogischen.


So ist die Rundfunkmusik im Begriff, zu einer vollkommenen Umwandlung unserer musikpädagogischen Anschauungen, die übrigens schon lange, teilweise aber erfolglos von den Einsichtigen vorbereitet ist, endlich die Bahn freizumachen. Im übrigen wird hier wahrscheinlich


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