- 29 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


“magischen” Menschen im wesentlichen auf das Überwiegen der “subjektiven” Bestimmungen und Beweggründe über die rein “objektiven” zurückführt. Das Weltbild des “homo divinans” soll dadurch zustande kommen, daß er seine eigenen Zustände in die Wirklichkeit projiziert, daß er das, was in ihm selbst vorgeht, in die Außenwelt hineinsieht. Innenvorgänge, die sich rein in der Seele abspielen, werden nach außen verlegt; Triebe und Willensregungen werden als Kräfte gedeutet, die unmittelbar in das Geschehen eingreifen und es lenken und umgestalten können. Aber diese Erklärung schließt, rein logisch betrachtet, eine petitio principii in sich; sie nimmt das zu Erklärende als Erklärungsgrund vorweg. Wir sprechen vom Standpunkt unserer theoretischen Weltbetrachtung, die auf dem Prinzip des “Grundes”, auf der Kategorie der Kausalität als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der Erfahrungsgegenstände, beruht, wenn wir dem Primitiven vorhalten, daß er Objektives und Subjektives “verwechselt”, daß er die Grenzen beider Gebiete ineinanderfließen läßt. Denn eben diese Grenzen sind nicht “an sich” vorhanden; sondern sie müssen erst gesetzt und gesichert, erst durch die Arbeit des Geistes gezogen werden. Und die Art dieser Grenzsetzung vollzieht sich verschieden, je nach der Gesamthaltung, in welcher der Geist steht, und je nach der Richtung, in der er sich bewegt. Jeder Übergang von der einen Haltung und Richtung in die andere, schließt immer zugleich eine neue “Orientierung”, ein neues Verhältnis von “Ich” und “Wirklichkeit” in sich. Die Beziehung zwischen beiden ist also nicht von Anfang an als eine einmalige und eindeutige gesetzt; sondern sie entsteht erst auf Grund der mannigfachen ideellen Prozesse der “Auseinandersetzung”, wie sie sich im Mythos und in der Religion, in der Sprache und in der Kunst, in der Wissenschaft und in den verschiedenen Grundformen “theoretischen” Verhaltens überhaupt vollziehen. Für den Menschen besteht nicht von Anfang an eine feste Vorstellung von Subjekt und Objekt, nach welcher er sodann sein Verhalten richtet; sondern im Ganzen dieses Verhaltens, im Ganzen seiner leiblichen und seiner seelisch-geistigen Betätigungen geht ihm erst das Wissen von beiden auf, scheidet sich ihm erst der Horizont des Ich von dem der Wirklichkeit.1) Zwischen beiden gibt es nicht von Anbeginn ein festes statisches Verhältnis,

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1) Zur näheren Begründung vgl. die Einleitung zu meiner “Philosophie d. symbolischen Formen”, Bd.I, S.6ff.


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