- 297 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Kammermusik dem Rundfunkspiel vorbildlich sein werden. In den schon erwähnten Experimenten der Rundfunkversuchsstelle wurde in dieser Art ein Militärorchester behandelt.


Aus dem Gesagten geht ohne weiteres hervor, daß Rundfunkmusik nie die Originaldarstellung von Musik überflüssig machen wird. Für bestimmte Werke der bestehenden Literatur – vielleicht für die Mehrzahl – wird die Lautsprecherdarbietung immer Surrogat bleiben. Für die kommende Musik wird der Wille des Autors entscheidend sein, an wen er sich wenden will, und was er zu sagen hat. Es ist kaum anzunehmen, daß die Komponisten auf die Einwirkungen verzichten werden, die nur im Gemeinschaftserlebnis und nur im unmittelbaren Erleben der Interpretation möglich sind. Aber es ist ebenso wahrscheinlich, daß der Wunsch, zu allen Menschen eines bestimmten geistigen Niveaus sprechen zu können und nicht nur zur kleinen Zahl der sehr musikalischen, neue Werke schaffen wird. Zwei Arten eines Gemeinschaftsgefühls stehen sich gegenüber: die eine, die aus gemeinsamem Erleben heraus das über der Gemeinschaft stehende Kunsterleben setzt und zu einmaligen, nur so möglichen Erleben steigern will, und die andere, die aus dem Bewußtsein einer gemeinsamen geistigen Verbundenheit ohne die Gefühlskomponenten des Nahe-beieinander-Stehens eine Idee in einem Werk gleichzeitig allen vermitteln will. So wird jede dieser Einstellungen neben der andern möglich

– vielleicht notwendig sein. Vielleicht wird sogar vom Schöpfer aus jede von ihnen die andere ergänzen und ihm Entwicklungen wie Auswirkungen ermöglichen, die ihm bisher nicht gegeben waren. Für die reine, ganz autonome Musik sind die geistigen Kontraste nicht sehr groß, sofern es sich um Werke einfacher Faktur handelt. Erheblich größer sind sie für alle Art intentional erfüllter Musik. Sobald aber zur Musik das Wort hinzutritt, entstehen für die Rundfunkkunst ebenso neue Begrenzungen wie Möglichkeiten. Neue Begrenzungen insofern, als das Verstehen der Sprache und der durch sie beschriebenen Situationen erschwert ist, ganz abgesehen von den im Rundfunk ganz unmöglichen Formen der Oper und Operette. Neue Möglichkeiten dadurch, daß bei verständlicher Darstellung, wie schon betont, das Mitgehen der Phantasie des Hörers in ganz hohem Grade erreicht werden kann. Es sei wieder an den “Lindberghflug” von Brecht-Hindemith-Weill erinnert, der in keiner anderen Darstellungsform so intensiv wirken wird, wie durch die Lautsprecherdarbietung.


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