- 298 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Zum Schluß sei noch einmal darauf hingewiesen, daß der Rundfunkstil nicht ein Stil spezifischer Gesinnung ist; es wird jedem Komponisten möglich sein, sich den Notwendigkeiten anzupassen und trotzdem ganz bei seiner Eigenart zu bleiben. Es wäre aber falsch, anzunehmen, daß der Rundfunk nicht durchaus die Möglichkeit hätte, bis zu einem gewissen Grade die Entwicklung und den Charakter der Musik allgemein mitzubestimmen. Abgesehen davon, daß er die Interpreten zu einer besonders diffizilen und charakteristischen Art der Interpretation anhält, und daß er auf Darstellungsmittel, Kombinationen usw. hinweist, die ohne ihn vielleicht nicht nahegelegen hätten, wird besonders durch die gemeinsame Einstellung auch der verschiedensten Gesinnungen auf gute, vielleicht sehr wertvolle Primitivität auch neuer, gemeinsamer Boden geschaffen. Es ist durchaus nicht notwendig, daß irgendeine von den vielen Stilarten, in denen heute komponiert und musiziert wird, den Sieg in der Entwicklung über die andern davonträgt. Es kann sein, daß die neuen Generationen auf die Werte früherer Zeit nicht verzichten, sondern sie sich aneignen wollen, um unter neuen Gesichtspunkten in neuem Gestaltungswillen Bestehendes mitzuverwenden. Wäre das der Fall, dann würden die Entwicklungstendenzen der Musik wahrscheinlich in Richtung des für uns charakteristischen Rundfunkstils liegen. Darüber dürften keine Zweifel bestehen, daß unsere gesamte neue Musikkultur im Augenblick vor die Entscheidung gestellt ist: eine private Angelegenheit der sehr Musikalischen zu bleiben oder wieder eine Angelegenheit aller zu werden. Will sie das letzte, will sie sich die Stellung erobern, die heute nur alte Musik hat, dann muß sie einen Weg finden, um den Kontakt zu dem neuen Menschentypus zu finden. Aus diesem Grunde können die Erfahrungen aus der Zuwendung zur Rundfunkmusik für den Komponisten von entscheidender Wichtigkeit sein. Vielleicht führt die ernsthafte Durchdenkung und die praktische Arbeit am Rundfunk zu einer Selbstkritik und Besinnung, die die Gesamtheit unseres künstlerischen Schaffens beeinflussen wird.


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