- 294 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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bei jedem anders, irgendein Musikempfinden aber fast überall vorhanden ist. Im Rundfunk kann es sich nicht darum handeln, für die Gruppen verschieden starker Musikalität zu musizieren, sondern höchstens für die Gruppen verschieden geistigen Niveaus. Innerhalb dieser Gruppen ist die Musikalität tatsächlich verschieden; darum hat die musikalische Sprache einfach und verständlich zu sein. Man kann über jedes ernste und tiefe Thema einfach und klar sprechen. Musiziert man so, dann wird man sich an sehr viele wenden können, zumal da solchem Musizieren ein Entgegenkommen aus andern Gründen garantiert wird.


In der Zeit nach dem Kriege haben wir der Musikerziehung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Methode des früheren Gesangsunterrichts ist aus der Schule verschwunden; ein Musikunterricht wird statt dessen durchgeführt, der vor allem aktives Interesse zum Musizieren erwecken soll. Dieser neue Musikunterricht wird ebenso wie die Pflege der Jugend- und Volksmusik das Verständnis der Musik außerordentlich heben. Musikerziehung und Rundfunk können in gleichem Sinne arbeiten: das durch Musikerziehung wachgerufene Musikinteresse wird aufrechterhalten durch wertvolle Rundfunkdarbietungen, und gute Darbietungen werden den Wunsch nach intensiverer Beschäftigung mit Musik hervorrufen. Nur ein Gegensatz ist zu beachten. Unsere Musikerziehung ist auf aktives Interesse gerichtet, will den Menschen zum Musizieren anhalten. Die Fülle der Musik im Rundfunk und das Angebot von Schallplatten drängt dagegen den Menschen eine gewisse Passivität auf; sie werden zum Musizieren erzogen und doch zum Hören gezwungen. Der Musizierende wird zur Musik eine ganz andere Einstellung haben als der Hörende, und es ist für die einzelnen Epochen der Musikgeschichte durchaus charakteristisch, welche Stellung die Musizierenden und die Hörenden einnehmen. In der Zeit vor dem Kriege herrschte der Hörer. Der Musizierende wurde zum Musikinterpreten von Beruf, häufig im Orchester zum Handwerker. In andern Zeiten wurde Musik in erster Linie für den komponiert, der sie ausführte. Die Entwicklung der Musik schien in den ersten Jahren nach dem Kriege, als die mechanische Reproduktion noch nicht so hervortrat, einen Stil zu schaffen, der das Musizieren als das Primäre und Wichtigere vor das Hören stellte. Die Zuwendung zur Kammermusik, das Wachsen der Dilettanten- und Jugendmusikpflege ist Beweis dafür. Die mechanische Musikreproduktion kann diese Entwicklung


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