- 293 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Entscheidung, wie er sich zu seiner Umwelt stellt, für jeden Autor von noch viel ernsterer Bedeutung als in den meisten Zeiten der Vergangenheit, und ihre Beantwortung ist für Stil und Charakter entscheidend.


Es ist anzunehmen, daß nur der Autor für Rundfunk, Tonfilm und Schallplatten wird schaffen können, der sich in irgendeinem Sinne an das Publikum im allgemeinen wenden will. Bisher war das anders. Die Konzertsäle waren besucht von den Musikalischen. Wer nicht musikalisch war oder sich nicht dafür hielt, blieb der Musik fern. Heute wird durch die mechanische Reproduzierung Musik überallhin getragen, und nicht nur der für Musik besonders Interessierte, sondern jeder, zu dem Musik kommt, macht seine Rechte geltend. Das muß entweder zu einer ungeheuren Verflachung der Musik führen, falls sie bereit ist, dem Geschmack eines jeden Rechnung zu tragen, oder es muß umgekehrt das Niveau des musikalischen Geschmacks der Menge heben. Die Entscheidung hängt wesentlich, neben der Qualität der Darbietung, von der geistigen Haltung der Autoren ab. Will die Neues schaffende Generation in erster Linie Geld verdienen, und bleibt die Verbreitung der Musikapparate ganz in den Händen einer rein wirtschaftlich eingestellten Industrie, dann wird das Niveau kaum sehr hoch steigen können. Wird die kulturelle Mission des in Deutschland monopolisierten Rundfunks aber richtig durchgeführt und bekennen sich die Autoren zu ihr, dann kann durch den Rundfunk eine unendlich wertvolle Geschmacksbeeinflussung erstehen. Dann muß der Autor aber einen starken Kontakt zu allen Menschen haben. Er darf nicht zu einem Verein von Musikfreunden oder für die ausgewählte Zahl der musikalisch Interessierten schreiben, sondern er muß sich in seiner Sprache an alle halten, die der Idee seines Werkes folgen können. Es ist unmöglich, daß sich eine Rundfunkmusik an alle überhaupt wendet. Dazu sind Geistes- und Geschmacksniveau der Menschen zu verschieden. Diesem Niveauunterschied muß jederzeit Rechnung getragen werden; aber innerhalb des Niveaus darf nicht nur für den Musikalischen im Sinne des hingegebenen Konzertbesuchers geschrieben werden. Damit ist natürlich nicht eine Musik für den Unmusikalischen gefordert; an den wirklich Unmusikalischen können wir gar nicht denken. Wir müssen uns nur völlig klar darüber sein, daß es eine klare Trennung zwischen Musikalischen und Nichtmusikalischen nicht gibt, daß ein Mensch nicht entweder musikalisch oder unmusikalisch ist, sondern daß die Art und Stärke des Musikempfindens


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