- 291 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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zur Kammermusik nach dem Kriege ist nicht vergessen, und unser gesamter neuer Musikstil ist in Gesinnung und Haltung von dem Wesen der Kammermusik stark beeinflußt worden. Diese Beeinflussung hat zweifellos eine wichtige Unterstützung durch den Charakter der neuen Tanzmusik erhalten. Der polyphon-rhythmische Stil guter Jazzmusik hat auch einen gewissen Kammermusikcharakter, weniger in der Geste als im Prinzip des Zusammenspiels. Wenn wir nun glauben, daß diese Einflüsse in der weiteren Entwicklung der Musik eine Rolle spielen werden, dann kommen wir zu dem Schluß, daß dabei das Verhältnis der neuen Musik zu einer Rundfunkmusik, wie sie unsern Forderungen entspricht, entscheidend berührt wird und ein Gegensatz fast aufgehoben wird. Von einem älteren, klugen Musiker wurde gesagt, daß eine eigene Rundfunkmusik seines Erachtens überflüssig wäre. Gewiß seien die Arbeiten in dieser Richtung notwendig und wertvoll. Aber sie würden nur zu der Einsicht führen, wie man überhaupt zu musizieren hätte, und was heute noch Rundfunkmusik sei, wäre dem Stil von morgen nahe, denn die im Rundfunk unerläßlichen Forderungen deckten sich vollkommen mit jenen, die wir im Grunde jetzt überhaupt an die Musik stellten.


Diese Meinung wird, soweit sie den kompositionstechnischen Teil angeht, durch die Erfahrung bestätigt. Manche Partitur unserer jüngeren Autoren sieht aus, als ob sie eigens für den Rundfunk geschrieben wäre. Und ob nun jener aus Rundfunkerfahrung ein Banjo im Orchester mitspielen läßt, ob dieser die rhythmische Betonung auf etwas andere Art, aber zu gleichem Zweck durchführt, bleibt sich gleich. Sie wollen beide dasselbe. Man kann sogar zugeben, daß unsere heutigen Rundfunkerfahrungen Einfluß auf die Kompositionstechnik der letzten Zeit ausgeübt haben, und wenn es nur soweit wäre, als die Ablehnung oder Aufnahme gewisser Einzelheiten durch den Rundfunk beschleunigt wurde. Die vollständige Eliminierung der Hörner aus mancher Partitur z.B. mag vielleicht erst geschehen sein, nachdem der Autor die Wirkung der Hörner im Rundfunk genau beachtet hatte. Es handelt sich dabei gar nicht um den Soloklang, sondern um die Ensemblewirkung. So ließen sich noch viele Beispiele für die Übereinstimmungen zwischen rundfunkgemäßer und ohne Berücksichtigung des Rundfunks entstandener neuer Musik anführen, nicht nur auf dem Gebiet der Rhythmik und Instrumentation, sondern auch in Hinsicht auf Polyphonie, Dynamik und Satz.


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