- 28 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Das Wirken müßte sich gerade in seiner ständigen Mehrung, in seiner Erweiterung und Steigerung, zuletzt als ohnmächtig, als innerlich-ziellos und kraftlos erkennen, wenn sich in ihm nicht gleichzeitig eine innere Umbildung, eine ideelle Sinn-Wendung vorbereitete und ständig und stetig vollzöge. In der Aufweisung dieser Sinnwendung liegt das, was die Philosophie für die Technik, für ihr Verständnis und gleichsam für ihre geistige Legitimierung zu leisten vermag. Aber sie muß hierfür weit zurückgreifen; sie muß bis zu den ersten Anfängen zurückzudringen suchen, in denen sich das Geheimnis der “Form” für den Menschen zuerst erschließt, in denen es ihm, im Denken und Vollbringen, aufzugehen beginnt, um sich ihm freilich zunächst eher zu verhüllen als zu offenbaren, um sich ihm nur wie in einem rätselhaften Zwielicht, in der Dämmerung des magisch-mythischen Weltbildes darzustellen.


Stellt man das Weltbild der Kulturvölker dem der Naturvölker gegenüber, so zeigt sich der tiefe Gegensatz, der zwischen beiden besteht, vielleicht in keinem andern Zuge so scharf und so klar, als in der Richtung, die der menschliche Wille einschlägt, um Herr über die Natur zu werden und sich ihrer fortschreitend zu bemächtigen. Dem Typus des technischen Wollens und Vollbringens steht der Typus des magischen Wollens und Vollbringens gegenüber. Man hat versucht, von diesem Ur-Gegensatz aus die Gesamtheit der Unterschiede abzuleiten, die zwischen der Welt der Kulturvölker und der der Naturvölker bestehen. Der Mensch der Frühzeit und der der späteren Stufe scheiden sich, wie sich die Magie von der Technik unterscheidet; jener läßt sich als homo divinans, dieser als homo faber bezeichnen. Der gesamte Entwicklungsgang der Menschheit stellt sich alsdann als ein in zahllosen Zwischenformen sich vollziehender Verlauf dar, kraft dessen der Mensch von der Anfangsstufe des homo divinans in die des homo faber übergeht. Nehmen wir diese Unterscheidung — wie sie Danzel in seiner Schrift über “Kultur und Religion des primitiven Menschen” aufgestellt und durchgeführt hat 1) - an, so haben wir damit freilich keine Lösung des Problems, sondern erst eine Aufstellung, eine Formulierung des Problems erreicht. Denn es ist nur eine scheinbare Erklärung und Weiterführung, wenn die Ethnologie, der diese Unterscheidung entstammt, sie dadurch zu erläutern strebt, daß sie das Verhalten des

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1) Danzel, Kultur und Religion des primitiven Menschen, Stuttgart 1924,S.2ff.,45ff, 54ff


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