- 285 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (284)Nächste Seite (286) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



den Standpunkt vertreten zu müssen, daß es gar keine eigenen Probleme der Rundfunkmusik gibt. Manche behaupten, eine weit genug entwickelte Technik würde alle Musikprobleme erledigen; eine Garantie für solche Entwicklung können sie freilich nicht geben. Andere glauben, daß nur mit entsprechender Sorgfalt musiziert werden muß, um jede Wiedergabe verständlich und wertvoll zu machen. All dieser Glaube ist aber praktisch wertlos, solange die Technik noch nicht soweit ist und solange das Niveau unserer Rundfunkinterpretation nicht höher ist. Unter Rundfunkinterpretation ist dabei nicht die rein künstlerische Aufführung vor dem Mikrophon, sondern die für das Mikrophon besonders berechnete Interpretation zu verstehen. Wir haben in erster Linie für die Gegenwart zu sorgen; die Zukunft können wir erhoffen; sie wird aber nur dann Gutes bringen, wenn wir an der Qualität der Gegenwart arbeiten. Und die gegenwärtig bestmögliche Leistung ist bei einer gewissen Art von Musik im Lautsprecher noch nicht befriedigend, sondern nur als mangelhafte Reproduktion des Originals anzusprechen.


Die Musikdarbietung erfährt durch die Übertragung Veränderungen. Soweit diese Veränderungen die Verhältnisse innerhalb des Werkes nicht berühren, ist wenig zu beanstanden. Wir hören dann das Werk gleichsam auf anderer Basis — es sei an den Vergleich einer guten Farbenreproduktion mit einem Gemälde erinnert—, aber Inhalt und Form müßten einwandfrei wiederzuerkennen sein. Das wird ganz anders, sowie sich durch Übertragung die Verhältnisse innerhalb der gesamten Klangerscheinung ändern. Dann wird das Werk verfälscht.


Die Verfälschungen werden sich vor allem in vier Teilgebieten bemerkbar machen: 1. im Klanglichen und in der Farbe des Klanges, 2. in der Plastik, 3. in der Diktion und 4. in der Dynamik. Wie bereits erwähnt, ist die Klangdignität der resonanzreichen und der resonanzarmen Instrumente vor dem Mikrophon sehr verschieden. Aber auch innerhalb eines einzelnen Instrumentes können erheblich stärkere Verschiedenheiten im Lautsprecher auftreten, als wir von der Wirklichkeit gewohnt sind. So fallen z.B.bei den Holzbläsern, besonders bei der Oboe, die ersten überblasenen Töne (bei der Oboe d, dis, e /vgl. Anmerkung/ )stark heraus, wenn der Spieler nicht sehr vorsichtig ist. Schwierig liegen die Verhältnisse immer noch beim Klavier, so sehr sich auch sein Klang in den letzten Jahren gebessert hat. Das rauschende Pedalspiel ist unerträglich, und so werden viele Werke Chopins entweder klar und


----------

Anmerkung

- Unterstriche unter Tonhöhenbezeichnungen, S. 285: “bei der Oboe d, dis, e” ( jeweils zwei Unterstriche ).

                                                                     


Erste Seite (1) Vorherige Seite (284)Nächste Seite (286) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 285 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik