- 281 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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das Körperliche einfach ist, wird mit der Möglichkeit einer geistig echten und eindrucksvollen Wiedergabe im Rundfunk meistens gerechnet werden können. Wir wissen alle, daß eine Violine im Rundfunk anders klingt als in Wirklichkeit. Wenn wir ein Streichquartett hören, stellen wir häufig fest, daß die Interpretation in bezug auf Ausgeglichenheit und Gleichgewicht nicht befriedigend ist; und doch besteht die Möglichkeit, gerade von einem Streichquartett tiefe Eindrücke aus dem Lautsprecher zu empfangen. Wem am sinnlich-schönen Ton und am letzten Detail des Subjektiven so viel gelegen ist, daß er den Klang von “Konservenmusik” überhaupt nicht ertragen kann, dem wird freilich nicht viel zu geben sein. Wer in der Lage ist, bis zu einem gewissen Grade auf das Sinnliche des Klanges zu verzichten, wird Streichquartett-Aufführungen bestimmt nicht ablehnen. Die nichtkörperlichen Wirkungskomponenten werden — wenn es sich nicht um polyphon-komplizierte Werke handelt — deutlich vorhanden sein; und in diesem einen Falle wird sogar die Intimität der eigenen Wohnung von manchem Hörer dem Konzertsaal vorgezogen werden. Daß sich stilistisch Haus- und Kammermusik für den Rundfunk eignen muß, ist ohne weiteres einzusehen. Besonders, wenn sie kompositorisch einfach ist, wird sie technisch sehr gut, jedenfalls am besten von allem wiederzugeben sein und infolge dieser technischen und jener stilistischen Gründe am wenigsten den Charakter der Reproduktion, des Surrogats, tragen.


Unsere bisherigen Ausführungen enthalten im Kern die Gründe, deretwegen eine Anzahl schaffender Künstler den Rundfunk ablehnen. Sie lehnen ihn einmal darum ab, weil ihnen der echte Klang der Instrumente und das darauf aufgebaute äußere Klangbild der Werke unersetzlich ist. Ihnen entgegen stehen jene, die bereit sind, davon zu abstrahieren. Eine andere Gruppe verlangt die Aufführung der Musik in demselben Raum, in dem sie gehört wird, aus akustischen, gesellschaftlichen und vom Hörer aus rein subjektiven Gründen. Die Klangplastik der Interpretation wollen sie nicht in mechanische Übertragung geben. Sie wollen auf feine Einzelheiten nicht verzichten und auch nicht durch Mängel einer Apparatur gestört werden. Selbst Übertreibungen des gesellschaftlichen Milieus nehmen sie hin, um die Atmosphäre gemeinschaftlichen Kunstlebens und den gemeinsamen seelischen Boden für Hörer und Interpreten garantiert zu wissen; sie wollen Hingabe des Hörers an die Künstler, Anerkennung einer gemeinsam


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