- 280 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (279)Nächste Seite (281) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



des Klanglichen wegen, sondern auch in Hinsicht auf die Art des Miterlebens aller Lautsprecherdarbietungen. Er würde ebenso, wie er für ein Gemälde den geeigneten Rahmen und ein entsprechendes Aufhängen verlangt, nur die Musikaufführung für würdig und im Sinne des Kunstwerks für möglich halten, die in geeignetem Raum vor sich geht.


Unser Lautsprecher steht in unserer Wohnung, inmitten all der Gegenstände, die zu unserm Alltagsleben gehören; wir behandeln ihn nicht mit mehr Respekt als irgendeinen andern Gegenstand — wir wissen, was er gekostet hat und gehen nur darum mehr oder weniger vorsichtig mit ihm um. In den Konzertsaal oder ins Opernhaus bringen wir dagegen eine besondere, vom alltäglichen Leben sich abhebende Einstellung mit. GewIß kann man es so einrichten, daß man nicht während der Übertragung der Neunten Symphonie Abendbrot ißt oder ans Telephon geht, um über Geschäfte zu sprechen, und dann weiter zuhört. Aber daß Einstellung und Konzentration auf Musik im Konzertsaal von vornherein intensiver und im Sinne der Darbietungen entsprechender, vielleicht würdiger ist, muß zugegeben werden.


Trotz der Richtigkeit dieser Einwände ist ihnen Verschiedenes entgegenzuhalten. Vor allem die Tatsache, daß sie die äußere, die körperliche Erscheinungsform des Werkes zu stark betonen. Entscheidend ist letzten Endes die Wiedergabe des geistigen Gehaltes und der charakteristischen Erscheinung. Und die ist bei dem heutigen Stande der Technik bereits in sehr hohem Grade möglich nicht zuletzt auch dadurch, daß man die Interpretenpersönlichkeit spürt. Wer häufiger am Lautsprecher zuhört, glaubt die Stimmung der Spieler zu bemerken und kann, so seltsam das klingt, bis zu einem gewissen Grade unter dem Einfluß der Persönlichkeit stehen, wenn auch nie annähernd soweit wie im Konzertsaal, wo der Interpret zu sehen ist. Aus dieser wahrnehmbaren Persönlichkeit und ihrem Gestalten dringt so viel Menschliches in das rein Akustisch-wahrnehmbare, daß von “mechanischer Musik” nicht die Rede sein kann. Wir hören, trotz mechanischer Übertragung, die einmalige, individuelle Interpretation und spüren sowohl das Gestalten der spielenden Künstler wie die Gestalt des Werkes –– seinen geistigen Gehalt wie die geistige Haltung des Spielers.


Das Charakteristische und Geistige ist natürlich nicht unabhängig vom rein Körperlichen der Musik, aber das Abhängigkeitsverhältnis ist in den verschiedenen Stilarten nicht gleich. In den Fällen, in denen


Erste Seite (1) Vorherige Seite (279)Nächste Seite (281) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 280 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik