- 274 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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regelmäßig Mitarbeitenden, so ergibt sich meist ein überaus schwankendes Bild. Es ist eine Folge der Verschiedenheit der Vorbildung, des Entwicklungsweges und der Veranlagung der einzelnen Hörer. Die technische Struktur der Einsendungen ist so verschieden wie möglich und umspannt von der kurzen, einstimmigen, melodischen Linie (bei der man es der Handschrift manchmal ansieht, daß hier zum ersten Male Noten geschrieben wurden), bis zum mehrstimmigen, formal ausgeführten Kompositionsversuch alle Zwischenstufen. Wir haben eine Auswahl der Lösungen vor dem Mikrophon besprochen, und zwar so, daß sie ganz oder teilweise gespielt wurden und unser Arbeitskreis, der sie nicht kannte, sich dazu äußerte. Der Überblick, der in stufenweisem Wachstum von Umfang und Schwierigkeit angelegt war, gab auch den andern Einsendern Anhaltspunkte zur Beurteilung ihrer Versuche. In besonderen Fällen wurde schriftlich geantwortet.

Oft zeigt sich in kurzer Zeit eine Entwicklung. Die ersten Lösungen sind Schulaufgaben, mit allen Hemmungen eines Menschen, der sich zum ersten Male mit einer neuen Sprache beschäftigt und versucht, in dieser Sätze zu formen. Dann setzt ein Wachstum ein, eine Entwicklung zur Musik. Ohne daß technische Fragen überhaupt zur Diskussion gestellt werden, zeigt schon die einstimmige Linie, mit oder ohne Verbindung mit dem Wort, eine immer mehr fortschreitende innere Lockerung. Niemals wird Originalität angestrebt, jedes “Komponieren” wird vermieden und wird, wenn es in den eingesandten Lösungen entgegentritt, bekämpft. Aber der Kreis von Menschen, die hier instinktiv fühlen, worum es sich handelt und deren Lösungen als wesentlich bezeichnet werden können, ist nicht so klein, wie man zunächst vermuten möchte.


Es bedarf keiner Begründung, daß in diesem praktischen Arbeiten auch eine Gefahr liegt und ein übler Dilettantismus großgezogen werden kann. Es war daher unser Bestreben, die Lösungen selbst immer einem größeren Zusammenhang einzuordnen, dem eigenen Versuch immer das im Typus ähnliche Kunstwerk gegenüberzustellen und sie außerdem in der gemeinsamen Kritik so schonungslos wie möglich zu behandeln. Mit diesen Einschränkungen aber muß wohl festgestellt werden, daß sich hier die unmittelbare Möglichkeit ergibt, die in jedem Menschen schlummernden, schöpferischen Kräfte zu erwecken. Dies geschieht nie als Selbstzweck, sondern immer nur unter der Perspektive, von hier aus den Weg in das Kunstwerk tiefer und wesentlicher zu


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