- 26 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Ich hebe diese Sätze eines Technikers und eines Denkers über die Technik heraus, weil in dem Parallelismus, der hier zwischen Sprache und Werkzeug behauptet wird, ein echtes philosophisches Problem sich birgt. Es ist kein bloßes Spiel des Witzes, keine bloß äußerliche Analogie, wenn man Sprache und Werkzeug zusammennimmt und beide aus einem geistigen Prinzip zu verstehen sucht. Schon den ersten “Sprachphilosophen” im Kreise unseres europäischen Denkens war der Gedanke an eine solche Wesensverwandtschaft nicht fremd. Sie faßten das Wort und die Sprache nicht in erster Linie als bloßes Darstellungsmittel, als Mittel der Beschreibung der äußeren Wirklichkeit auf, sondern sie sahen in ihm ein Mittel zur Bemächtigung der Wirklichkeit. Die Sprache wurde ihnen zur Waffe und zum Werkzeug, dessen sich der Mensch bedient, um sich im Kampf mit der Natur und im Kampf mit seinesgleichen, im sozialen und politischen Wettstreit, zu behaupten.1) Der “Logos” selbst, als Ausdruck der eigentümlichen Geistigkeit des Menschen, erscheint somit hier nicht lediglich in “theoretischer”, sondern in “instrumentaler” Bedeutung. Und darin liegt zugleich implizit die Gegenthese beschlossen, daß auch in jedem bloß stofflichen Werkzeug, in jedem Gebrauch eines materiellen Dinges im Dienste des menschlichen Willens, die Kraft des Logos schlummert. So wird die Wesensbestimmung, die Definition des Menschen in dieser zweifachen Richtung entwickelt. Der Mensch ist ein “vernünftiges” Wesen: in dem Sinne, daß die “Vernunft” aus der Sprache stammt und unlöslich an sie gebunden ist — daß ratio und oratio, Sprechen und Denken, Wechselbegriffe werden. Aber zugleich, und nicht minder ursprünglich, erscheint er als ein technisches, ein werkzeugbildendes Wesen: “a tool-making animal”, wie Benjamin Franklin ihn genannt hat. In diesen beiden Seiten seines Wesens ist die Kraft beschlossen, mit der er sich gegen die äußere Wirklichkeit behauptet und kraft deren er sich ein geistiges “Bild” dieser Wirklichkeit erst erringt. Alle geistige Bewältigung der Wirklichkeit ist an diesen doppelten Akt des “Fassens” gebunden: an das “Begreifen” der Wirklichkeit im sprachlich-theoretischen Denken und an ihr “Erfassen” durch das Medium des Wirkens; an die gedankliche wie an die technische Formgebung.


Und in beiden Fällen gilt es, um in den eigentlichen Sinn dieser

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1) Über diesen “agonalen Charakter des Logos” in der Sprachtheorie der Sophistik vgl. die Darlegungen von Ernst Hoffmann, Die Sprache und die archaische Logik, Tübingen 1925, S.28ff.


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