- 25 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


soweit es äußerlich in die Erscheinung tritt, vom Tier unterscheidet, sind zwei Dinge: Das Wort und das Werkzeug. Die Fähigkeit, Worte und Werkzeuge zu schaffen, haben...aus dem Tier den Menschen gemacht. Wie diese Fähigkeiten in die Welt gekommen sind, wird sicher ein ewiges Rätsel bleiben, das keine Deszendenztheorie zu lösen imstande ist, denn sie sind geistigen Ursprungs und stammen aus einer Quelle, aus der bis auf den heutigen Tag kein Tier getrunken hat. Beide Fähigkeiten waren unerläßlich für das Fortbestehen des Menschen als Gattung, einer feindlichen Welt gegenüber, in der er, körperlich hilfloser, schwächer, weniger widerstandsfähig als die meisten Tiere, zweifellos in kurzer Zeit hätte untergehen müssen. Was ihn rettete, war im Bereich des Wissens die Sprache, im Bereich des Könnens das Werkzeug. Auf Wissen und Können, auf Wort und Werkzeug beruht die Macht, die den nackten wehrlosen Menschen zum Herrscher über alles Lebende auf Erden gemacht hat...In Urzeiten bis weit hinein in die Anfänge der Kultur spielte zweifellos das Werkzeug die erste Rolle in der Gestaltung des menschlichen Daseins...Später trat eine eigentümliche Änderung in dem Verhältnis zwischen Wort und Werkzeug ein. Die Sprache, eben weil sie sprechen konnte, wußte sich eine überragende, man wird wohl sagen dürfen, eine ungebührliche Bedeutung zu verschaffen. Das stumme Werkzeug wurde im Empfinden der Menschheit immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Das Wissen herrschte, das Können diente; und dieses Verhältnis steigerte sich mehr und mehr und ist bis in die Gegenwart allgemein anerkannt geblieben. Heute stehen wir inmitten eines heftigen Kampfes, der bestrebt ist, das Verhältnis der beiden, wenn nicht umzugestalten, so doch auf seine richtigen Grundlagen zurückzuführen. Die Sprache hat in den Tagen ihres wachsenden Triumphs den ungebührlichen Anspruch erhoben, das einzige Werkzeug des Geistes zu sein. Sie glaubt es im allgemeinen heute noch. Sie vergißt über dem Werkzeug des Geistes den Geist des Werkzeuges. Aber beide, Wort und Werkzeug, sind ein Erzeugnis derselben geistigen Urkraft, die das Tier ,homo' zum Menschen, ,homo sapiens' gemacht hat, wie ihn die Gelehrten nennen, die natürlich auch hier wieder allein auf sein Wissen anspielen und sein Können, das all dieses Wissen ermöglichte, vergessen.”1)

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1) Max Eyth, Poesie und Technik (a.a.0. S.12 ff.); vgl. den Vortrag: Zur Philosophie des Erfindens (a.a.0. S.230ff.).


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