- 252 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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allen Möglichkeiten greifen, durch die ihnen Musik nähergebracht wird. Über Voraussetzungen, Forderungen und Struktur des Hörerkreises wird später noch einiges gesagt werden müssen. Hier sei nur daran erinnert, daß eine große Zahl der gerade an diesen Fragen interessierten Hörer auf dem Lande und in kleinen Städten wohnt, von allen Anregungen und Möglichkeiten einer geistigen Weiterentwicklung abgeschnitten ist und daher ein vitales Interesse an allen diesen Dingen hat.


Hier entsteht die Kernfrage: Wie kann Musik dem Rundfunkhörer in einer ihm entsprechenden Form als “Lehre“ gegeben werden? Für den Sprachunterricht gibt es eine gewisse feste Form des Lehrgangs. Sie kann wohl innerhalb bestimmter Grenzen modifiziert werden, kann besonders dadurch, daß zwei Menschen vor dem Mikrophon miteinander sprechen, an Unmittelbarkeit und Lebendigkeit gewinnen; doch ist hier nicht der Stoff, sondern allein die Form wandelbar.


Für die Musik bestehen in dieser Richtung keine Voraussetzungen. Sie ist als Lehre in keiner Weise befestigt. Der traditionelle Aufbau des musiktheoretischen Lehrgangs ist auch außerhalb des Rundfunks problematisch. Der musikalische Mensch, der vom Instrument aus in die Gesetzmäßigkeiten der Musik eindringen möchte, wird in das System des vierstimmigen Satzes eingezwängt, mit dem er im Grunde gar nichts zu tun hat und zu tun haben möchte. Unsere Musikpädagogik ist eben erst im Begriff, sich mit den veralteten Lehrmethoden des 18. und 19. Jahrhunderts erstmalig auseinanderzusetzen. Dabei gehen wieder entscheidende Impulse von der Entwicklung der jungen Musik aus. Aus der Krise des Schaffens wird eine Krise der Lehre.


Für den Rundfunk verstärken sich diese Bedenken. Der Gedanke, eine Harmonie- oder Kontrapunktlehre im alten Sinne vor dem Mikrophon aufzubauen, wäre absurd, die Zahl der daran interessierten Teilnehmer minimal. Die Eigengesetzlichkeit des Rundfunks fordert neue Wege, fordert eine Klärung dieser schon ohnehin brennenden Probleme. Sie erstrecken sich in erster Linie auf den Stoff, seinen Aufbau, seine Gliederung und Ausdehnung, die Form der Übertragung und die Mitarbeit des Hörers.


Der Stoff selbst ist nicht Musiktheorie, sondern Musik. Wenn im Rundfunk über Musik gesprochen wird, wenn versucht wird, Musik dem Hörer auf dem Wege von Kursen und Arbeitsgemeinschaften nahezubringen, so ist damit schon ausgesprochen, daß ein wesentlicher


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