- 23 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


So wird etwa in der “Kritik der Urteilskraft” das Reich der Schönheit erst dadurch philosophisch begründet, daß die Autonomie, die Selbst-Gesetzlichkeit und Selbst-Bedeutsamkeit des Schönen, gegenüber dem Gefühl der Lust und Unlust und gegenüber den Normen und Regeln des ethischen Sollens entdeckt und sichergestellt wird. Blickt man von hier aus auf das Reich der Technik hin und auf den Kampf, der in immer steigender Heftigkeit um dieses Reich, um die Erfassung seines spezifischen Sinns und Gehalts geführt wird, so findet man, daß dieser Kampf sich zumeist noch in einem Vorstadium bewegt, das in andern Gebieten der geistigen Kultur seit langem überschritten ist. Man mag die Technik segnen oder ihr fluchen — man mag sie als eines der höchsten Besitztümer des Zeitalters verehren oder sie als dessen Not und Verderbnis beklagen — immer pflegt in diesen Urteilen ein Maß an sie angelegt zu werden, das ihr nicht selbst entstammt; immer werden ihr, bewußt oder unbewußt, Zwecke unterschoben, die sie in ihrem reinen Gestaltungswillen und in ihrer reinen Gestaltungskraft nicht kennt. Und doch kann das eigentliche Urteil über sie nur aus ihr selbst, nur aus der Einsicht in das ihr innewohnende immanente Gesetz gewonnen werden. Die Philosophie der Technik zum mindesten ist an diese Forderung gebunden. Auch die Philosophie steht freilich den Inhalten der geistigen Kultur nicht nur betrachtend und prüfend, sondern richtend gegenüber. Sie will nicht lediglich erkennen, sondern sie darf und muß anerkennen und verwerfen, beurteilen und werten, entscheiden und richten. Aber ihr intellektuelles Gewissen verwehrt ihr, einen Richterspruch zu fällen, ehe sie in das Wesen dessen, worüber sie richtet, eingedrungen ist und es aus seinem eigenen Prinzip heraus begriffen hat. Diese Freiheit des philosophischen Blicks ist in den modernen Apologien der Technik, sowenig wie in den Angriffen und Anklagen, die wider sie gerichtet werden, kaum jemals zu finden. Immer wieder fühlt man sich versucht, dem Verteidiger wie dem Kläger die Maxime entgegenzuhalten, die Spinoza für die Philosophie der Politik geprägt hat: non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere. 1) Die Bestimmung des “Seins” und “So-Seins”, die Anschauung dessen, was die Technik ist, muß dem Urteil über ihren Wert vorangehen. Und hier scheint freilich ein neues Dilemma zu entstehen: denn das “Sein”

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1) Man vgl. etwa die disparaten Urteile über Sinn und Wert der Technik, die Zschimmer in seiner “Philosophie der Technik” z.B. S. 45 ff., 136ff. zusammengestellt hat.


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