- 229 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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überhitzten Zeit, wie der heutigen, fast alles, was in der Öffentlichkeit geschieht, einen politischen Unterton hat oder die gefürchteten indirekten politischen Folgen nach sich ziehen kann, so wird klar, daß in den Überwachungsausschüssen Aufsichtsbehörden mit formell fast souveräner Machtbefugnis gegeben sind. Wenn man ferner bedenkt, daß die Mitglieder dieser Ausschüsse ihrerseits ja Vertreter ihrer Regierungen sind und in jedem Ausschuß einem Vertreter des Reiches zwei Landesvertreter gegenüberstehen, so zeigt sich, daß formell auch in der Organisation des deutschen Rundfunks der bundesstaatliche Gedanke an einer politisch ausschlaggebenden Stelle Ausdruck gefunden hat. Aber noch etwas Drittes, Wesentliches zeigt sich hier. Die Ausschüsse haben nur ein Überwachungs- und Einspruchsrecht. Die Verantwortung und Initiative der Sendegesellschaften ist auch in der Genehmigungsurkunde von 1926 ausdrücklich anerkannt. Damit kommt auch hier der Grundsatz der Privatinitiative wieder zum Ausdruck. Dies läßt sich an allen deutschen Sendeprogrammen beobachten. Die gesetzlichen Grundlagen sind die gleichen; die praktische Programmeinstellung aber zeigt bestimmte feine Unterschiede örtlich bedingter Eigenarten, an deren Vorhandensein neben dem Typus des jeweiligen Überwachungsausschusses und der örtlichen Programmleitung sehr wesentlich noch eine andere Erscheinung beteiligt ist. Stärker als das stärkste Gesetz ist das Leben, das in diesem Falle in einer Millionenmasse von Rundfunkhörern gegeben ist. So thronen auch die Überwachungsausschüsse ebensowenig wie die Sendegesellschaften in einer eisigen Höhe souveräner Unbekümmertheit, sondern sind auch sie wieder mitten in drängendes Gegenwartsleben hineingestellt. Das Heer der Hörer ist ein weiteres gewaltiges Regulativ für den aktuellen Programmkurs und zugleich eine Erklärung dafür, daß das Verhältnis zwischen Überwachungsausschuß und Sendegesellschaft sich nicht in der Richtung bürokratischer Über- und Unterordnung, sondern weit eher - unter Wahrung aller gesetzlich vorgeschriebenen Formen — als solidarische Gemeinschaftsarbeit entwickelt hat. Wir haben also an dieser wichtigen Stelle des deutschen Rundfunkwesens wiederum eine, wie ich glaube, glückliche organisatorische Kombinationslösung vor uns, die ein freies Kräftespiel individueller Interessen des Reiches, der Länder, der Sendegesellschaften und der Hörerschaft rechtlich und tatsächlich zum mindesten nicht versperrt. Vernünftige Einsicht aller Beteiligten in die Grenzen des jeweilig Erreichbaren und Achtung vor dem, was hier auf


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