- 212 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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findet, schneller verbraucht werden, weil er dann den Abstand vom Theater am deutlichsten machen wird, wenn er sich der Gesetze des Theaters bedient und diese nicht erfüllen kann. Die flache Wand kann nicht den Raum ersetzen, der erfüllt wird von der magischen Gewalt der schauspielerischen Geste, der Sprache, des Gesanges und der Leibhaftigkeit des Menschen in der Einzahl und der Mehrzahl. Die Suggestion des Menschen auf der Bühne auf den Menschen im Zuschauerraum, sein persönliches Wirken mit allen Skalen der Spannung, der Nervosität, der Empfindlichkeit, die Möglichkeit, persönlich den Menschen oben zu rufen und wieder zu rufen oder ihn ebenso persönlich abzulehnen, den Schauspieler, den Sänger, den Dirigenten, den Regisseur, den Dichter und den Komponisten, und das an jedem beliebigen Abend, hier und dort: das sind vielleicht primitive, aber immer bleibende Gesetze der Suggestion und der Wirksamkeit. Gerade hier zeigt es sich, daß Technik im Theater immer sekundär war und bleiben wird. Wir brauchen gar nicht nur an den Prominentenkult zu denken, immer und überall wird der einzelne Schauspieler, Sänger, Kapellmeister oder ein Ensemble ausgeglichener Kräfte die merkwürdig persönliche, die direkte Wirkung ausüben, die von dem gesteigerten sprachlichen, mimischen, körperlichen und geistigen Ausdruck des Bühnenmenschen ausgeht auf den Menschen des Parketts und der Ränge. Und wo sonst kann das Zusammenwirken so vieler künstlerischer Faktoren wie Mensch, Farbe, Licht, Musik, Sprache, Bild, Geste, Tanz, Masse erzeugt werden, wo in solcher Leibhaftigkeit und Deutlichkeit, Reizbarkeit und Differenziertheit? Wo sonst erleben wir diese Synthese, von der jede andere Kunstgattung nur Teile geben kann, das mechanische Kunstgebiet nur die Photographie, die Wiedergabe, die Übertragung, also immer das Indirekte und nie das Persönliche. Es ist z.B. beim Radio die Erfahrung gemacht worden, daß etwa die Übertragung einer Opernaufführung zur Folge hatte, daß die folgenden Aufführungen dieser Oper einen unerwarteten Andrang vorwiegend auswärtiger Besucher hatten, die Hörer dieser Übertragung gewesen waren.


Die Absetzung dieser Gebiete untereinander und dem Theater gegenüber muß immer deutlicher und bewußter geschehen. Gleichzeitig kann aber die gegenseitige Befruchtung von größter Bedeutung werden, nur dann allerdings, wenn jede Gattung ihrer eigenen Grenzen und Möglichkeiten bewußt geworden ist und nicht wahllos Elemente herein


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