- 21 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (20)Nächste Seite (22) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Ernst Cassirer: Form und Technik


von Lebensäußerungen und Lebensmöglichkeiten einschließt, so hat auch die Technik, trotz ihrer Gebundenheit an die stoffliche Welt, etwas von der Grenzenlosigkeit des reinen Geisteslebens überkommen”1). Deutlich tritt in solchen Äußerungen zutage, daß die moderne Besinnung auf Grund und Wesen der Technik nicht länger damit zufrieden ist, sie lediglich als eine “angewandte Naturwissenschaft” zu betrachten und sie demgemäß irgendwie in die Begriffe und Kategorien des naturwissenschaftlichen Denkens einzuspannen und einzulangen. Was man sucht, ist ihre Beziehung auf die Allheit des Geisteslebens, auf seine Totalität und Universalität. Diese Beziehung aber läßt sich nur dadurch finden und feststellen, daß man, statt des Seinsbegriffs der Naturwissenschaft, vielmehr den Formbegriff in den Mittelpunkt stellt und sich auf seinen Grund und Ursprung, seinen Gehalt und Sinn zurückbesinnt. Denn er ist es, in dem sich uns die Weite des Geistigen erst eigentlich erschließt und in dem sich uns sein Umfang und sein Horizont bestimmt. 2) Geht man statt vom Dasein der technischen Werke vielmehr von der Form des technischen Wirkens aus, blickt man vom bloßen Produkt auf den Modus, auf die Art des Produzierens zurück und auf die Gesetzlichkeit, die sich in ihr offenbart, so verliert damit die Technik jenes Enggebundene, jenes Beschränkte und Bruchstückhafte, das ihr sonst anzuhaften scheint. Sie ordnet sich, wenn nicht unmittelbar in und mit ihrem Ergebnis, so doch mit ihrer Aufgabe und ihrer Problematik einem wahrhaft umfassenden Fragekreis ein, innerhalb dessen erst ihr spezifischer Sinn und ihre eigentümliche geistige Tendenz sich bestimmen läßt.


Um in diesen Kreis einzudringen und um seinen Mittelpunkt wahrhaft zu erfassen, bedarf es freilich zuvor noch einer grundsätzlichen, rein methodischen Besinnung. Das Eigentümliche der Sinnfrage, die uns hier entgegentritt, droht immer wieder verdunkelt, ihre Grenzen drohen immer wieder verwischt zu werden, indem sich dieser Frage andere Motive nicht nur zugesellen, sondern sich ihr allmählich und unvermerkt unterschieben. Eine solche Unterschiebung ist es schon,

__________

1) Dessauer, a. a. O., S. ISO; Max Eyth, Lebendige Kräfte. Sieben Vorträge aus dem Gebiete der Technik, 4. Aufl., Berlin 1924, S. 1f.

2) Ich kann im Rahmen dieser Arbeit diesen Satz lediglich als These hinstellen: für die Entwicklung und für die systematische Begründung dieser These muß ich auf meine “Philosophie der symbolischen Formen” (3 Bände), Berlin 1923—29, verweisen.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (20)Nächste Seite (22) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 21 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik