- 20 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Dasein und Leben der Technik steht, ihr Grundproblem sieht: so ist es vor über 2ooo Jahren von dem eigentlichen Entdecker der “Idee” und der “Ideenwelt” gesehen worden. Wenn Platon das Verhältnis von “Idee” und “Erscheinung” entwickelt, und wenn er es systematisch zu begründen sucht: so greift er für diese Begründung nicht in erster Linie auf die Gestalten der Natur, sondern auf die Werke und Gebilde der tecnh zurück. Die Kunst des “Werkbildners”, des “Demiurgen” liefert ihm eines der großen Leit- und Musterbilder, an denen er Sinn und Bedeutung der Idee darstellt. Denn diese Kunst ist nach Platon keine bloße Nachbildung eines Vorhandenen und Daseienden, sondern sie ist nur auf Grund eines Vorbildes und Urbildes möglich, auf das der Künstler in seinem Schaffen hinblickt. Der Künstler, der zuerst die Weberlade erfand, hat sie nicht als ein in der Sinnenwelt zuvor Gegebenes aufgefunden, sondern er hat sie in die Sinnenwelt eingeführt, indem er auf die Form und die Bestimmung, auf das Eidos und Telos des Werkzeugs hinsah. Und so blickt auch noch heute der Bildner der Weberlade, wenn sie ihm etwa bei der Arbeit zerbricht und er daran geht, eine neue zu schaffen, nicht auf das zerbrochene Gerät als Modell und Muster hin, sondern was seiner Arbeit die Richtung gibt, ist wieder der Blick auf jene ursprüngliche Form, wie sie im Geist des ersten Erfinders sich darstellte. Diese allgemeine Form, nicht aber ein in der Sinnenwelt bestehendes Einzelding, ist also erst das, was das eigentliche und wahrhafte “Sein” der Weberlade begründet und ausmacht 1). Sollte es ein Zufall sein, wenn dieses eigentümliche Grundmotiv des Platonismus sich auch in der modernen Reflexion über Sinn und Wesen der Technik immer stärker geltend macht? “Es sinkt aus einer höheren Sphäre von Macht und Wirklichkeit” — so heißt es z.B. bei Dessauer — “durch Geist und Hände des Technikers und des Arbeiters ein ungeheurer Strom von Erfahrung und Macht in das irdische Dasein. Ein Geistesstrom rinnt in die chaotische materielle Welt, und alle haben daran teil, die Schaffenden bis zum letzten Arbeiter als Vollstrecker, alle als Empfänger.” “Technik ist alles” — so sagt im gleichen Sinne Max Eyth — “was dem menschlichen Wollen eine körperliche Form gibt. Und da das menschliche Wollen mit dem menschlichen Geist fast zusammenfällt und dieser eine Unendlichkeit

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1) Platon, Kratylos 389A (näheres in meiner Darstellung der Gesch. der griechischen Philosophie in Dessoirs Lehrb. der Philosophie I, 92 f.).


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