- 209 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Und noch eins muß ich hier kurz erwähnen. In Deutschland wird mit einer bösartigen Ernsthaftigkeit am Theater herumgedoktert. Die Luft ist dick und zäh geworden. Ein wesentlicher Teil der Kritik hat völlig jene Leichtigkeit verloren, die über der Sachlichkeit und der Forderung vorhanden sein muß. Forderungen und Richtungen lösen sich ab und treiben das Theater von einer Sackgasse in die andere. Wo ist die Unbefangenheit, der Humor, die Lust an den Dingen des Theaters hingekommen? Wie dürr und bitterböse ist alles geworden. Wie lähmend diese Atmosphäre der Einschüchterung und der Drohung! Von Theaterspielen kann keine Rede mehr sein, es wird Theatergearbeitet und philosophiert.


Wir kehren zurück zur Frage des Theaterbaues. Der Theaterbau von heute ist noch der von vorgestern. Er ist entstanden in der Barockzeit und aus den besonderen Bedürfnissen dieser Zeit. Es ist die Bühne der festlichen und prunkhaften Anlässe, die Bühne der Feerien, der pomphaften Aufzüge, der großen und steifen Balletts, der glanzvollen Oper. Die Bühne der Fanfaren und der Verschwendung. Die Bühne als Ausdruck höfischer Macht und höfischen Glanzes. Die Bühne der Ränge und des Parketts, also der genauen Scheidung der Stände und Klassen.


Das Theater hat sich in den Jahrhunderten durchaus von dieser Form fortentwickelt, aber der Bau ist geblieben wie er war. Das Theater hat andere Aufgaben erhalten, aber es muß diese Aufgaben erfüllen in einem Bau, der ihnen kaum noch entspricht.


In Berlin gibt es Theater für verschiedene Kategorien des Publikums und der Stücke. Es sind die eleganten Boulevard-Theater im Westen, deren erstes Beispiel die Kammerspiele waren. Es sind die Komödienhäuser für den verwöhnten Einheimischen und für den Fremden, den Provinzbesucher, der Berlin gesellschaftlich erleben will. Solche Theater muß es geben. Der Architekt Kaufmann hat für diese Gattung eine Art Muster geschaffen, das vielleicht geschmackvoll, aber in seiner reichen Ornamentierung, seiner dekorativen Überladenheit, heutigen Stilgesetzen der Architektur durchaus widerspricht und als stillos zu bezeichnen ist. Einen eigenen Typ verkörpert die Volksbühne am Bülowplatz. Es ist das Prinzip der Gemeinschaft, der gleichen Platzkategorien für alle, das Haus ohne Logen (etwa nach dem Vorbild des Bayreuther Festspielhauses und des Münchener Prinzregententheaters). Für sich steht auch der interessante Bau des Großen Schauspielhauses


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