- 208 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (207)Nächste Seite (209) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



da nicht die Barriere der Bildung und der Literatur. Der Dramatiker hatte vor dem Volk nur das dichterisch-dramatische Gestaltungsvermögen voraus, sonst war er einer von denen, die die Bühne im weiten Rund umgaben. Bezeichnend genug, daß in Griechenland der Dramatiker sein eigener Schauspieler sein mußte, erst allein, dann einen und später um einen weiteren Darsteller vermehrt. Im christlichen Mittelalter ist dann der Geistliche der Schauspieler. Aus dem Kultischen und später aus dem Geistlichen geschah die Entwicklung ins Volksmäßige. Das Volk riß die Schauspiele aus den Kirchen auf die Plätze und bemächtigte sich selbst der Darstellung Diese Entwicklung muß uns vor Augen bleiben. Sie geht weiter dann auf die Höfe über in feste, prunkhafte Bauten, die Volksspielerei ging eine Weile weiter und verlor sich dann. Hier also beginnt die Brücke zum Volk abzureißen. Die Gemeinsamkeit des frühen Theaters werden wir kaum wieder zurückgewinnen. Das Theater hat sich in Jahrhunderten davon entfernt, und unsere Zeit ist gewiß nicht besonders geeignet, diese Entfernung in kurzer Frist aufzuheben, denn wenn schon Begriffe wie Nation und Volk angerührt sind vom Zank der Parteien, dann ist die Gemeinsamkeit nicht von heute auf morgen wiederzugewinnen. Aber gerade das Theater wäre geeignet, diese gemeinsame Basis vorzubereiten. Das Theater als Tribüne, jawohl, nämlich als Tribüne der Nation, die die großen Themen einer Nation anrührt, aber nicht die Themen einer Gruppe, einer Partei, nicht nur verzweigte und oft kleine Themen des öffentlichen Lebens.


Das Tendenzdrama, das leider heute meistens zum Parteidrama wird, bringt vielleicht einige Lebendigkeit, einiges Interesse dem Theater zu, aber es reißt nur tiefer in den Abstand der Klassen und Parteien, es bringt auf die Dauer kein Volk an das Theater heran.- Nur große und gemeinsame Erlebnisse in starker persönlicher Gestaltung können diese Verbindung schaffen.


So wird das Arena-Theater, wenn es versucht werden sollte, ein abseitiger Versuch bleiben, solange nicht die gemeinschaftsbildende Dramatik vorhanden ist, und diese Dramatik kommt nicht her aus der Literatur, der Zivilisation, sondern aus männlichen, harten Naturen, die das Erlebnis nicht privat aufnehmen und gestalten, sondern in das Ganze der Nation zu wirken vermögen. Das Volksschauspiel in des Wortes weitester und edelster Bedeutung, das ist auch die Voraussetzung für das Theater als Gemeinschaft.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (207)Nächste Seite (209) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 208 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik