- 206 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (205)Nächste Seite (207) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



Man will neue Ideen des Inhalts zugleich in neuer Umgebung durchführen. Die Guckkastenbühne ist, wie der Fall Piscator zeigt, diesen Versuchen zu eng, die starre Haltung einer Publikumsfront, die nur immer nach vorn konzentriert ist, sie will man auflösen. Die Suggestion von Massenveranstaltungen in der Arena der Sportpaläste reizt den Neid des Theatermannes, der aus seinen engen Wänden nicht herauskommt, der eingesperrt ist und das Publikum in starrer Haltung sich gegenüber sieht. Die Arena, die das Spiel, den Kampf in die Mitte nimmt, ist das Ziel.


Wenn also heute von mancher Seite angestrebt wird, die Guckkastenbühne aufzugeben und diese Arena (wenn auch mit besonderen Einbauten und Beleuchtungsmöglichkeiten) zur Bühne zu machen, so ist das im Prinzip nichts anderes als die Rückkehr zu den ersten Anfängen des Theaters. Damals aber in Griechenland bedeutete Theater etwas grundlegend anderes als heute. Damals galt Theater nicht als Kunstform im heutigen Sinne, es war nicht der erbitterte Kampfplatz der Meinungen von Publikum und Kritik, nicht Kampf um den Wert oder Unwert des dramatischen Werkes, der Regie, der Darsteller, also um ästhetische, politische und weltanschauliche Maßstäbe und Blickpunkte. Die Stoffe der griechischen Tragödie waren Besitz eines Volkes, waren die Grundlage und Voraussetzung einer Nation. Sage, Legende, Geschichte waren in ganz anderm Maß als heute wirklich Allgemeingut, und der kultische Charakter der frühesten theatralischen Betätigung im alten Griechenland gab schon gar diesen Veranstaltungen ein Gepräge, das sie heraushob aus dem Alltäglichen in die Sphäre des Feierlichen, des Dienstes am Göttlichen. Das Seltene und Besondere dieser Veranstaltungen hebt sich allein schon ab gegen das Gewerbsmäßige und Alltägliche des heutigen Theaterspielens. Was dort also organisch aufwuchs aus dem Gesamtbewußtsein und dadurch nun wieder in der Darstellung zur Allgemeinheit sprach, das fehlt uns in dieser Art durchaus. Das Kultische oder auch das Religiöse, die Sage oder die Geschichte können heute nicht mehr die entscheidende Grundlage theatralischer Darbietungen bilden. So will man heute das Politische an die Stelle dieser Begriffe setzen. Hier aber und in dieser Verallgemeinerung steckt ein entscheidender Rechenfehler.


Man muß — positiv oder negativ — den Wechsel der Zeiten einsetzen. Vielleicht kann man wirklich sagen, daß die Politik augenblicklich an die Stelle der reinen Geschichte und der Sage getreten ist, aber


Erste Seite (1) Vorherige Seite (205)Nächste Seite (207) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 206 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik