- 205 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (204)Nächste Seite (206) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



nur Zustand, sondern zugleich Ursache und Wirkung, nicht nur Einzelschicksal, sondern ringsum zugleich das Schicksal einer Masse, eines Volkes, vieler Völker. Man kann an diesen außerordentlichen Versuchen nicht vorbeigehen. Ihr Gelingen war noch nicht immer restlos, vor allem war die Relation Schauspieler—Technik noch sehr zugunsten der Technik und damit zuungunsten des Wesentlichen, nämlich des Schauspielers, gelöst. Aber das besagt nichts gegen die genialen Ideen, die hinter diesen technischen Versuchen standen, Ideen, die sich weiterentwickelt hätten, wenn sie nicht einem starren politischen Dogma unterstellt worden wären, wenn nicht außerdem die Ideologie dramaturgischer Kollektivarbeit hinzugekommen wäre. Und schließlich war es der Mangel an …konomie, der das aufgeschwemmte Gebäude zerschlug.


Ausgezeichnet bleibt die Idee, Vorgeschichte und Umwelt in den Vorgang einzubeziehen, und dieser Versuch muß fortgesetzt und dann vereinfacht werden. Das Zuviel verwirrte. Klarheit und Übersichtlichkeit müssen an die Stelle von Schwerfälligkeit und Aufgeblasenheit des Apparates treten, dann ist es durchaus denkbar, solche Versuche auch etwa auf historische Klassikerstücke (Shakespeare, Schiller, Goethe, Grabbe) anzuwenden, Zusammenhänge, Abstammungen, Verwicklungen klarzulegen, die dem Gros des Publikums niemals klarwerden. Der Bau dieser Dramen braucht dabei nicht angetastet zu werden. Nur die oft umständlichen exponierenden Szenen, die keinen individuellen und keinen Handlungscharakter haben, sie können als Bericht herausgestellt und versinnbildlicht werden, damit der eigentliche Handlungsverlauf nicht gehemmt wird. Welche Möglichkeiten ergeben sich etwa für die noch immer ungelöste Darstellung von Schlachten, von Erscheinungen (Richard III., Macbeth)! Solange freilich diese Versuche noch im experimentellen Stadium sind, wird man moderne Stücke verwenden, die unmittelbar dem jetzigen Stand dieser Technik sich anpassen. Es wird an anderer Stelle festzustellen sein, daß manche Versuche Piscators (besonders die Globus-Bühne) in die heute üblichen Theaterbauten nicht hineinpassen, wie auch der Film sich mit der vorhandenen Form der Bühnentechnik nur mangelhaft verträgt.


Unsere Zeit hat, wie in alle Gebiete, so auch in das Theater den Riß hineingetragen. Es wird nicht mehr selbstverständlich genommen. Man kämpft erbittert um seine Erhaltung und um seine Verwandlung. Den Bau wie die Bühne will man nicht mehr als Gegebenheit hinnehmen.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (204)Nächste Seite (206) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 205 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik