- 204 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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der Bühne bis zu diesem Tag. Das spezifisch Technische zeigt sich eben zunächst nur für Erscheinungen und für den Dekorationswechsel.


Heute aber sehen wir das Technische im Theater wesentlich anders. Es ist die Entwicklung der letzten 20 Jahre, die hier eigentlich erst von Technik in einem bestimmenden Sinne sprechen läßt, und die jüngsten Jahre geben eine Zukunft an, die sich nur noch deutlicher unterscheidet von allem, was bis jetzt als Theatertechnik bezeichnet wurde.


Hier wird folgende Frage entscheidend: Ist die Technik nur ein unsichtbares Wesen, bestimmt, den reibungslosen Wechsel der Szenen (also etwa mit Dreh- oder Schiebe- oder Versenkbühne) zu gewährleisten, die Beleuchtungsmöglichkeiten in allen Phasen und Stimmungen spielen zu lassen, ferner die Rheintöchter, den Lindwurm und ähnliche Zaubergestalten funktionieren zu lassen, oder soll das Technische selbst ein Faktor werden, sichtbar, Maschine, auf der Bühne agierend und treibend?


Diese Frage führt zu Piscator und zu seinen Versuchen an der Volksbühne und am Nollendorfplatz. Diese Versuche sind ein ausreichendes Beispiel, sie sind in jüngster Erinnerung, sie sind das wichtigste Glied in der Entwicklung der Theatertechnik dieser Jahre. Piscator begnügt sich nicht mehr mit dem Zustand der Bühne und den gegebenen technischen Möglichkeiten, da er nicht nur das Bild, den Raum, die vorliegende Zeit und ihre Gestalten sucht, sondern zugleich Vorgeschichte und Umwelt in und um den Verlauf baut. So muß auch seine Bühne die bisherige Starre, den Augenblickscharakter der Guckkastenbühne aufgeben, sie muß mehr, muß Beweglichkeit verlangen. Es sind von Piscator und Traugott Müller und ihrem technischen Stab die bekannten Versuche mit der Segment-Globus-Bühne (Rasputin), mit Film, laufendem Band (zuerst Schwejk), mit Simultanszenen (Räuber), lichttransparenter Etagenbühne (Hoppla, wir leben), mit Projektionen, Plakaten, neuen Geräuschapparaten usw. gemacht worden, kurzum eine überraschende Fülle neuer und vielfach sehr entwicklungsfähiger Versuche, die inzwischen manchen Nachahmer gefunden haben. Wichtiger als die technische Einzelheit ist das vorhin angedeutete Prinzip, wichtig also ist die Feststellung, daß hier die Bühne in eine Maschine verwandelt wurde, die Beweglichkeit erhöhend, die Gleichzeitigkeit vieler Schauplätze und Vorgänge ermöglichend. Nicht mehr der Ausschnitt einer Welt, einer Zeit, sondern die Welt selbst, die Zeit selbst: nicht


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