sondern ihre Wirkungen aus andern Bezirken holen. Vier Typen von Sprechern lassen sich auf der Grammophonplatte feststellen. Alte Schule: der gefühlsbetonte Pathetiker, der mit schönen Klängen und gewaltiger Dynamik über die Eigengestalt der Dichtung hinwegtönt. Neben ihm steht der seelenschlichte Sprecher, der einfach und kunstlos die Dichtung beseelt. (Dieser erfreut sich heute noch der allgemeinen Sympathie.) Beide nehmen für sich das Recht der subjektiven Ausdeutung in Anspruch. Neu treten hinzu zwei Sprechtypen, die sich im Gegensatz zu den beiden andern als objektive Sprecher fühlen und jede Einzelbetonung ängstlich vermeiden, die von den ersten beiden Typen als Nuancen soviel als irgend möglich angebracht wird. Der sakrale Sprecher, der eintönig psalmodiert, und der sachliche Sprecher, der unter Vermeidung jeder Gefühlsbeteiligung den Text einer Dichtung referiert und damit auf jeden Versuch der Gestaltung verzichtet. Gemeinsam ist allen diesen Sprechern, daß sie nicht von der Eigenform der Dichtung ausgehen, sondern ihr eine fremde Klangform aufzwingen: die Subjektiven ihre individuelle Auffassung, die Objektiven ein vorgefaßtes Sprechschema. Beides führt zu einer ständigen Wiederholung derselben Ausdrucksmittel, die die Sprechleistung dem Hörer sehr bald reizlos machen. Darum spielt die Sprechplatte in der ungeheuer großen Schallplattenproduktion überhaupt keine Rolle. Ein Blick in die Kataloge beweist das: Hunderte von Musikplatten und kaum zwei Dutzend Sprechplatten.
In neuester Zeit werden zwar Sprechplattenserien aufgenommen, aber für Schulzwecke, nicht etwa in der Hoffnung auf ein großes Geschäft. Die Schallplattengesellschaften wollen damit beweisen, daß sie nicht nur Geschäftsbetriebe sind, sondern kulturwichtige Unternehmen. Die Schulbehörden unterstützen diese Versuche, denn die Pädagogen sehen langsam ein, daß die einseitige Schreib-Lese-Erziehung, die bisher den Unterricht beherrscht hat, ergänzt werden muß durch eine Kultivierung des gesprochenen Wortes. Dem Lehrer kann die Schallplatte als Hilfsmittel außerordentlich wertvoll werden, da ihre unbestechliche Wiedergabe das Ohr reizbar macht für sprecherische Gestaltung und das Unterscheidungsvermögen des Schülers schärft, besonders wenn die Anonymität des Sprechers gewahrt bliebe, damit nicht die Namensuggestion das vorurteilslose Abhören beeinflußt. Voraussetzung wäre allerdings, daß der Lehrer selbst über das Stadium des unmaßgeblichen Geschmacksurteils hinaus zu einer sachlichen Einsicht
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