- 189 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ablenkung, sondern logische Ergänzung des Bildeindrucks bedeutet. Die Sprache ist in diesem akustischen Akkompagnement nur eine unter den vielen Möglichkeiten der Geräusche und Klänge, sie wirkt nicht gestaltend an sich, sondern ist eines der vielen Illustrations- und Spannungsmittel. Die filmische Situation verträgt weder eine gedankliche

Belastung, noch poetische Intervalle, die den Gang der Handlung aufhalten. Auch wenn die akustischen und phonetischen Schwierigkeiten überwunden sind, wird die “Verwendung von Sprache” im Tonfilm wohl kaum zu einer Neubelebung der sprachgestaltenden Kräfte führen; es sei denn, daß neue Sprechformen, etwa der Sprechchor, in den Tonfilm mit einbezogen werden.


Auch auf der


Sprechbühne


hat sich nach und nach immer mehr eine Verschiebung vom akustisch-dramatischen Hör-Erlebnis zum mimisch-dramatischen Schau-Erlebnis vollzogen. Der raffinierte technische Apparat, die malerische, architektonische oder konstruktivistische Bühnengestaltung, die das Interesse des Beschauers in gleicher Weise wie die Gestalt beansprucht, die Verschiebung des Schwerpunkts der Darstellung auf mimisch-psychologische Momente hat auch hier die schöpferische Wortgestaltung in den Hintergrund gedrängt. Der Schauspieler kennt noch die Verwandlung durch Kostüm und Maske, aber die magische Verwandlung durch Sprache ist ihm fremd geworden. Er hat eine angenehme oder unangenehme Stimme, er bekommt in seiner Ausbildung eine sogenannte Sprechtechnik, die ihm eine dialektfreie, sauber artikulierte, wohlklingende Normalsprache garantiert, die er gern wieder vergißt zugunsten seiner natürlich gewachsenen und lebendiger wirkenden Sprache, die er nach Bedarf mit Ausdruck oder Gefühl füllt und die ihn auf der Schaubühne lebensecht” wirken läßt. Von den zauberhaften Möglichkeiten sprachlicher Formung, in denen es schwingt und schreitet, kreist und schlägt, bannt und löst — allerdings oft weitab der naturalistischen Lebensnähe —, weiß der moderne Schauspieler so gut wie nichts. Er kennt Sprache nur als gefühlsbetonte oder sachliche Mitteilung und verwechselt Ausdruck mit Gestaltung. Auch Dichtung interessiert ihn nur soweit, als sie die Forderung der “Lebensnähe” in Thema oder in der Imitation der Alltagssprache erfüllt oder sich eine Umbiegung (Aktualisierung) in diesem Sinne gefallen läßt. Das mußte naturnotwendig zu einer Armseligkeit der sprachlichen Formen führen, die sich nicht nur


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