- 188 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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“Schriftsteller” gebrauchen wir graduell wertend anstatt artunterscheidend. Die Sprachkonvention stellt den Dichter höher, obwohl der Schriftsteller im öffentlichen Leben längst die führende Rolle übernommen hat. Der Leser nennt das, was ihm lieb und wert ist, ein für allemal Dichtung und verschleiert so den völligen Ausfall an Bedürfnis nach Dichtung im ursprünglichen Sinn des Klangerlebens. Einzig der Georgekreis macht einen scharfen Schnitt zwischen dem Dichter als Gestalter des klingenden Wortes und dem Schriftsteller, der die Dinge durch Worte beschreibt und umschreibt. Aber trotz dieser tiefen Einsichten in das Wesen dichterischer Gestaltung, stiftet der Kreis um George neue Verwirrung, wenn er schriftstellerische Meisterwerke, z.B. Jean Pauls, Goethische Romane, als Klangdichtung proklamiert, um sie als Kunstwerke zu retten. Denn ihm gilt alles, was schriftstellerische Darstellung ist, als unterwertig, damit stellt er sich bewußt in Gegensatz zum Zeitgeschmack, der sich für den Schriftsteller, auch wenn er ihn Dichter nennt, entschieden hat. Trotz ihrer Unaktualität sterben die Dichter nicht aus, die um das Urbild der Dichtersprache wissen, die nicht flächig, sondern körperhaft ist wie Architektur, wie Plastik, wie der Mensch selbst. Für sie hört der Eigen-Sinn des gedruckten Wortes auf, der Druck ist ihnen nichts als Notenschrift. Hier wird das Buch wieder “dienstbar dem gelauteten Wort”, es bedarf der unmittelbaren Wirkung von Mensch zu Mensch, es bedarf der Menschenstimme.


Einzig auf dem Theater erlebte die Tradition des gesprochenen Wortes keine Unterbrechung. Schauspielkunst und Wortkunst waren eng miteinander verkoppelt, bis auch die Technik eine vom Wort abgelöste Darstellungsform ermöglichte: im


Film.


Der Film kam dem übersteigerten Schaubedürfnis des 2o.Jahrhunderts aufs äußerste entgegen. Die Übertragung der dramatischen Aktion auf die Leinwand erwies sich als voller Theaterersatz für den Zuschauer. Das tönende Wort wurde hier ebensowenig vermißt wie bei der Lektüre. Bild und Zwischentexte erregten die optische Phantasie derart, daß die Illusion eines Gesamteindrucks zustande kam, besonders da die rudimentären akustischen Bedürfnisse durch die Begleitmusik hinlänglich abgelenkt wurden. Heute ist im Tonfilm die Technik so weit fortgeschritten, daß die akustische Begleitung nicht mehr


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