- 180 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Frage nichts zu tun. Es kommt einzig und allein darauf an, wie sie gehandhabt werden. Weiß der Rundfunk, wem er wozu das Wort erteilt, so wird er je nach seinem Vertrauen zu der betreffenden Persönlichkeit gern auf das Manuskript verzichten. Es muß immer wieder hervorgehoben werden, daß im Rundfunk alles gesagt werden darf, wenn der Sprecher genug Humanität und Urbanität besitzt, um es anständig zu sagen. Wenn also diese sogenannten Zensurbestimmungen auch manche unserer parteipolitischen Rufer im Streit zwingen, wenigstens im Rundfunk leidenschaftliche Gesinnung mit einer Mäßigung des Tones, das heißt mit ritterlicher Achtung für die gegnerische Meinung, zu verbinden, so werden jene Bestimmungen sich als ein Segen auswirken. Entspringt zum Beispiel das Verbot, Parlamentssitzungen zu übertragen, nicht vielleicht nur einem unsicheren parlamentarischen Gesamtgewissen und der Besorgnis, die unbegrenzte Öffentlichkeit aller Debatten möchte dem Parlamentsgedanken eher abträglich als förderlich sein? Sicherlich aber wird durch den Rundfunk der Tag kommen, an dem sich alle europäischen Parlamente für übertragungsreif halten. Sie werden dann nämlich im Parlament selbst jene weise Umgänglichkeit angenommen haben, die der Rundfunk schon heute von seinen Rednern verlangt.


Der Stumpfsinnigkeit der für den Druck gedachten, aber im Rundfunk vorgelesenen Abhandlung hat man die richtige Erkenntnis gegenübergestellt, daß der Stil des Gespräches die Aufmerksamkeit des Hörers am tiefsten zu fesseln geeignet sein möchte. Leider hat diese richtige Erkenntnis in ihrer Ausführung jedoch häufig zu der fluchwürdigen Verlogenheit und Theaterei der abgelesenen Gespräche im Rundfunk geführt. Der Charakter jeden Gespräches besteht in dem unvorhergesehenen Aufkeimen und Reifen einander widersprechender oder sich ergänzender Gedanken, und da das Mikrophon die feinsten Erregungen des Tones überträgt, ist kaum eine ästhetisch niedrigere und moralisch fragwürdigere Taschenspielerei zu denken als eine Stimme, die so tut, als fiele ihr zu eigener Erregung eben etwas ein, was der Kopf schon Tage zuvor zu Papier gebracht, danach überprüft, und das sie eben von dem ruhig ablesenden Auge zugereicht erhalten hat. Selbst wenn man in gewissen Teilen des Rundfunkprogramms ein Varieté der Sensationen für erforderlich hält, so bleiben doch diese erheuchelten Trapezkünste des Gesprächs, wer auch immer die Gehirnwelle am blanken Holze, das in Wirklichkeit ein Spiegelreflex ist, vortäuschen mag, eine armselige Karikatur echter


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