- 160 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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persönliche oder dingliche Seite des Rechts legt, aus der Natur des einen oder andern Rechts die oben entwickelten Folgerungen ziehen müssen.


Daß weder Gierke noch Kohler, noch überhaupt die Vertreter der Wissenschaft, die dem einen oder andern zustimmen, diese Folgerungen ziehen, weil sie dem praktischen Leben widersprechen, muß durch ein neues Moment erklärt werden: die soziale Gebundenheit des Urhebers und ihre Folge, den Eingriff der Allgemeinheit in die Fortdauer seines wirtschaftlichen Rechts. Schon der Kampf um die Dauer der Schutzfrist und ihre verschiedene Bemessung beweist, daß es sich hier um nichts anderes handelt als um einen willkürlichen Eingriff, eine Enteignung. Die vielfach zur Erklärung dieses Eingriffs benutzte Behauptung, der Urheber bediene sich beim Schaffen kulturellen Allgemeinguts, ist hinfällig, weil sie auf jedes Werk, nicht nur das Geisteswerk, zutreffen würde. Bei der vorgeschrittenen Arbeitsteilung ist überhaupt keine Arbeitsleistung eines einzelnen mehr denkbar, die nicht mit der Arbeitsleistung vieler untrennbar verflochten wäre. Weit besser läßt sich der Eingriff in das Urheberrecht aus folgenden Betrachtungen rechtfertigen: als man die Schutzfrist, die bereits in den frühesten Gesetzen auftaucht, schuf, dachte man gewiß daran, dem Urheber zu seinen Lebzeiten und seinen Erben für eine Gnadenfrist die wirtschaftliche Nutzung des Werkes zu überlassen. Diese Voraussetzungen treffen aber mindestens auf dem Gebiete der Musik längst nicht mehr zu. Bei Lebzeiten des Komponisten nutzt sein Verleger, nach seinem Tode dessen Erben das Werk; das Monopol des Verlegers aber zeitlich noch auszudehnen, liegt wahrhaftig kein Grund vor.


Dem Recht der Allgemeinheit auf einen Eingriff in das Vermögensrecht des Urhebers muß aber eine Pflicht der Allgemeinheit gegen sein Persönlichkeitsrecht entgegengesetzt werden, die Pflicht zur Erhaltung seines Werkes in voller Reinheit auch über den Tod des Schöpfers hinaus! Daß Brahms 1927 frei wurde, daß freie Konkurrenz sich um billige gute Ausgaben seiner Werke bemühen durfte, ist aus sozialen Erwägungen zu begrüßen. Daß er aber zu der gleichen Frist schutzlos wurde, daß z.B. willkürlich herausgerissene und instrumentierte Stücke seiner Symphonien mit einem sexuellen Aufklärungsfilm verknüpft werden durften, ist unbegreiflich und beweist schlagend, daß das geltende Gesetz der Struktur des Urheberrechts keineswegs gerecht wird.


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