- 152 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


wertvoller ist als das mit mehr oder weniger Geldmitteln erreichbare passive Sichaussetzen einer möglicherweise erstrangigen Wirkung. Gerade die große Schar von ehrgeizlos Beflissenen und unbesoldeten Liebhabern gibt den Nährboden für eine sogenannte Musikkultur ab. Gefährlich dürften Versuche sein, dieses verlorengegangene Dilettantentum auf einer der vorhandenen Konzertmusik oppositionell entgegenstehenden Grundlage wieder aufzubauen. Dieser Versuch setzt voraus, daß für diese neuen Liebhaber eigens Werke geschaffen werden, was jedoch dem Sinn des Amateurwesens widerspricht. Der Dilettant darf nie das Maß der Dinge sein, stets muß das momentane Niveau weit über seiner Durchschnittsgrenze liegen. Er muß in dauernder Anstrengung sein, muß sich immer bemühen können, in immer höhere Bezirke seiner Kunst vorzudringen. Im Augenblick aber, wo diese Kunst auf sein Durchschnittsniveau herabsteigt, verliert seine Bemühung den Sinn, und seine Kunstübung wird zum schalen, mühelosen Gebrauch. Besonders bedenklich ist es wohl, wenn die Liebhaberei organisiert wird und die Menschen gruppenweise ihre angebliche Musikliebe ausüben. Nur die völlige geistige Verödung und unachtsame Oberflächlichkeit, die die Technisierung des Lebens herbeigeführt hat, machen es möglich, daß man, wo alles organisiert und rationalisiert wird, um nicht ganz zugrunde zu gehen, gar nicht merkt, daß der Geist das einzige ist, das sich allen kollektiven Bestrebungen immer entziehen wird.


Dies ist schließlich noch eine sehr wichtige psychologische Konsequenz des technisierten Daseins, die dem lebendigen Vorhandensein von Kunst im Durchschnittsbewußtsein abträglich ist. Die Gleichmacherei, die die Technik ins Leben bringt, der Zwang, sich mit typisierten, serienweise hergestellten Dingen zu umgeben, will man nicht weit über seine Verhältnisse leben, läßt nach und nach die natürliche Betätigung eines individuellen Geschmacks verkümmern und drängt den gewöhnlichen Menschen rasch in ein farbloses, uniformes, undifferenziertes Normaldasein. Es ist nicht mehr auszeichnend, sich zu unterscheiden, sondern kostspielig, anstrengend und noch dazu unpassend. Es läßt sich nicht einwenden, daß wir an den Erzeugnissen anderer Zeiten etwa die durchgehende Einheitlichkeit unter dem Namen “Stil“ als Vorzug rühmen. Ein Stil ist eine ungeschriebene Konvention, ein auf besondere Art umzirkter Tummelplatz der Phantasie, und mögen alle Barockmöbel etwa nach einem Schema gemacht sein, so ist selbst in einer Serie ein jeder Stuhl ein wenig anders, weil er von einer andern


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