- 151 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


Maschinen die Zeit vertreiben. Der wesentliche Unterschied in der Situation der Kunst gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter besteht also darin, daß früher ein Kreis sozial ausgezeichneter Menschen Lust hatte, Zeit und Geld, was sie beides besaßen, an die Kunst zu wenden, ohne daß diese durch minderwertigen Zeitvertreib unterboten wurde. Mit der industrialisierten Zerstreuung, die das Publikum durch jede Form von Reklame unterjocht, wird die Kunst wohl kaum konkurrieren können. Sie dürfte demnach aus dieser Erwägung heraus kaum einen Anlaß haben, durch Veränderung ihrer Absichten, Voraussetzungen und Methoden der neuen Situation Rechnung zu tragen.


Durch die Verallgemeinerung (aber auch Verwässerung) der Bildungswerte, die der soziale Fortschritt sicherlich gezeitigt hat, ist andrerseits zweifellos das Verständnis für die Existenz der Kunst, ihre Aufgaben und Methoden sehr verbreitet, aber dafür auch gründlich zerschwatzt worden. Alles, was in einem immer größeren Kreis von immer weniger orientierten Menschen und vor allem durch eine vorwiegend auf das Sensationsbedürfnis ihrer Leser (das sie selbst erzeugt hat) eingestellte Presse fortwährend erörtert wird, bekommt natürlich zuletzt im Durchschnittsbewußtsein ein von den Tatsachen völlig abweichendes Aussehen. Immerhin, die Kunst ist da und aus der öffentlichen Meinung nicht wegzudenken. Mag das wenig genug sein so kann man sich bei so betrübenden Gesamtaspekten nicht beklagen. Was der Musiker aber stets bedauern muß, das ist der Rückgang des guten Dilettantentums, der dem Mangel an Muße, der Tatsache, daß vom Quartettspielen kein Zuwachs an Ansehen mehr zu erwarten ist, und der Technisierung der Musikwiedergabe zuzuschreiben ist. Da man um relativ wenig Geld und ohne jegliche Bemühung erstklassige Schallplatten kaufen und an jedem beliebigen Ort auf dieselbe Art das Radio aufdrehen und erstklassige Musikdarbietungen empfangen kann, entsteht in vielen Leuten ein Minderwertigkeitsgefühl, das von der Trägheit noch unterstützt wird. Da man ja nie so gut spielen wird wie Rachmaninoff oder Kreisler, so läßt man es lieber ganz, ohne sich einzugestehen, daß das ja auch viel bequemer ist. Der Erstklassigkeitswahn, der ein natürlicher Bestandteil der in Rekordzahlen und Höchstquanten sich bewegenden technisch orientierten Anschauungsweise ist, erschwert und unterdrückt die individuelle Anstrengung um die Kunst, die, wenn sie auch in den Resultaten noch so unzulänglich ist, stets


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