- 150 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


klar, daß in einer durch keine Schichtenlinien gegliederten Masse die Vertreter des billigen, ungeistigen, bequemen Niveaus weitaus in der Mehrzahl sind, und da es einem industriell exploitierten Tätigkeitsgebiet natürlich auf die Größe des Umsatzes ankommen muß, ergibt sich von selbst, welche Art von Erzeugnissen quantitativ dominieren wird. Nun kommt noch hinzu, daß dieser gewaltige Zerstreuungsbetrieb den einzelnen eine Menge Geld kostet, das durch entsprechende Arbeitsleistung verdient sein will, womit die materielle und geistige Disposition zum notwendigen Müßiggang weiterhin eingeschränkt wird. Die technische Mentalität hat aber auch direkte Wirksamkeit auf die Denkformen und Gedankenbahnen des Durchschnittsmenschen erzielt. Einmal hat sie an Stelle des Intensitäts- und Qualitätsideals das der Expansion und Quantität gesetzt. Mochte man früher damit Ehre aufheben, daß man Lesen und Schreiben oder, auf höherer Stufe, Lateinisch und Griechisch konnte und französische Gedichte zu machen oder die Flöte zu blasen verstand (was immerhin ein dem Vorhandensein von Kunst im Allgemeinbewußtsein günstiger Zustand gewesen sein mußte), so muß man heute, um Ansehen zu genießen, das schnellste Auto haben, eine Tennismeisterschaft oder einen Schönheitspreis besitzen oder wenigstens am Weekend mehr Kilometer auf dem Motorrad zusammengerasselt haben als alle guten Freunde. Und das alles nicht nur, weil es teuer ist und das ausgegebene Geld soziales Ansehen verleiht, sondern aus primitiver Freude an der Zahl. Abgesehen von den gesteigerten animalischen Interessen, scheint auch hier eine Quelle des ungeheuren Vergnügens am Sport zu liegen: die Resultate des Wettkampfs der Körper und Maschinen sind exakt, sofort feststellbar und indiskutabel, keine höhere Veranlagung, kein besserer Verstand, kein sichereres Gefühl gehört dazu, um sie als definitiv zu erkennen. Alle diese Kennzeichen gehen einer künstlerischen Einsicht, einem künstlerischen Urteil ab. Wenn es angegriffen wird, ist es sehr schwer zu verteidigen, man weiß nie sicher, ob der andere nicht vielleicht recht hat, es muß diskutiert werden, und zu einer Unterhaltung auf diesem Niveau gehört Geist und Zeit, was beides nicht aufgewendet werden kann, da das eine zu anstrengend ist und man das andere nicht hat, weil man sonst die nächste turbulente und öde Zerstreuung versäumen müßte, der man sich ebenso passiv in die Arme werfen wird wie der vorhergehenden, selig und leer lächelnd, in verklärter Verblödung, ob des Tempos und der Exaktheit, mit der alle diese schönen und lauten


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