- 147 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


Prinzip. Exaktheit überrascht und erfreut uns gelegentlich beim lebendigen Menschen, bei der Maschine ist sie primitivste Anforderung und kein Wunder, sondern eine banale Selbstverständlichkeit. Die synchronisierte Filmmusik hat etwas unerhört Pedantisches, kindisch Schulmeisterliches an sich. Es ist ebenso unerträglich abgeschmackt, einem erwachsenen Menschen zuzumuten, daß er sich ansieht, wie Wasser in ein Glas tropft, und darüber in Staunen ausbrechen soll, daß ein Apparat das zugehörige “Gluckgluck“ naturgetreu mitliefert, wie die Forderung, daß man bewundern solle, wie die Filmsoldaten im Takt marschieren. Es ist ganz unnötig und sogar störend, daß sie es tun, und erst seit es synchrone Filmmusik gibt, bemerkt man, wie gleichgültig es bisher war, was für eine Musik im Kino gespielt wurde. Wesentlich ist nur, daß das gespenstische zweidimensionale Schattenleben auf der Leinwand mit seiner irrationalen besessenen Motorik von einem ebenso irrationalen Element einer ganz andern Sphäre unterbaut werde und daß sich die beiden Kreise nie schneiden dürfen. Diese unbezweifelbare Zweidimensionalität des Films ist es auch, die den singenden Film zu einer mit großer Skepsis zu behandelnden Gattung macht. Während der Film zwar Bilder von photographischer Treue, aber schattenhafter Irrealität auf der Fläche erzeugt, werden wir von jedem akustischen Phänomen unwillkürlich von Raumvorstellungen affiziert. Sollen wir nun die akustischen Erscheinungen mit den Filmbildern identifizieren, so wird die Unvereinbarkeit beider Vorstellungsarten evident, indem wir den Ton stets an dem Platz seiner Erzeugung lokalisieren (also an dem Aufstellungsort des Klangapparates), während die Filmbilder unausgesetzt wechselnde Räume und Distanzen vorspiegeln. Die Tatsache etwa, daß man nun gegebenenfalls den Sänger in Großaufnahme sehen kann, so daß sein Mienenspiel deutlich wird, kann in nichts entschädigen. Denn einmal ist es gar nicht erfreulich, das Gesicht eines singenden Menschen von der Nähe zu betrachten, wenn es nicht komisch wirken soll, dann aber ist auch dieses Verfahren eine elende Krücke der Phantasielosigkeit und hebt jede Art von Zwang zur Mitarbeit der Vorstellungsgabe des Zuschauers auf, die gerade durch das Einsehen auf eine bestimmte Entfernung, z.B. im Theater, sehr gefördert wird, und ohne diese gibt es keine Aufnahme von Kunstwerken. Oberhaupt haben alle technischen Vervollkommnungen mechanischer Musikreproduktion die Konsequenz, daß die Phantasietätigkeit des Aufnehmenden immer mehr ersetzt


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