- 145 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


eben nicht mehr als gelegentlich entschädigen, wenn für einen Augenblick der artistische Reiz des Unversuchten stärker ist als der schöpferische Impuls, der sich nicht durch die Grenzen eines Apparates beschränken läßt. Andrerseits haftet aller mechanischen Musik notwendigerweise der Charakter des Automatenhaften und Seelenlosen an, der den Hörer ermordet und quält. Niemals, und nicht in der schwersten wirtschaftlichen Krise, wird ein Arsenal von dreißig Grammophonplatten oder Phonolarollen die Abonnementkonzerte und Klavierabende eines Kleinstadt-Musikwinters ersetzen können, weil das Musikwerk ja nicht in abstracto, sondern in der Auseinandersetzung eines vorhandenen, lebenden Menschen mit ihm aufgenommen sein will. Damit bleiben die mechanischen Musikapparate auf jenes Gebiet beschränkt, auf dem sie schon heute vorwiegend wirksam sind, auf das der Unterhaltungsmusik oder Gebrauchsmusik, worunter eine solche zu verstehen ist, der man nicht absichtlich zu-, sondern von der man gern weghört, weil sie nur ein belebendes Nebengeräusch zu einer andern zentralen Beschäftigung sein soll. Mit Recht spielen bei Karussells, in Hafenkneipen Orchestrions, in Salons, wo getanzt wird, Grammophone, obschon selbst da des öfteren das Moment eines lebendigen, dem Rhythmus und der Dynamik der Unterhaltung sich anpassenden Menschen am Klavier entbehrt wird. Gleichviel, es wäre denkbar, auch solche Gebrauchsmusik im Original gleich für die in Frage kommenden Mechanismen zu komponieren, aber da zeigt sich, wie bei aller Musik, die zum Weghören bestimmt ist, daß es ganz gleichgültig ist, ob sie ein wenig mehr oder weniger materialgerecht ist, und außerdem kann es auch wieder nur eine ganz vorübergehende Aufgabe von untergeordneter Bedeutung sein, solche Musik zu schreiben. Im übrigen ist dies nichts Neues, schon Mozart hat ein Andante für eine mechanische Orgelwalze komponiert. Also von der Seite der mechanischen Musikproduktion her: gelegentliche, mehr spielerisch-artistische Anregung, kein prinzipieller Einfluß.


Bewirkt das mechanische Musikinstrument das Vorhandensein einer einmaligen Wiedergabeleistung für alle Zeiten, so ermöglicht das Radio deren gleichzeitiges Vorhandensein an allen Orten. Hier gelten dieselben Erwägungen, wie wir sie bei der Erörterung der Musikautomaten angestellt haben: geht die Rundfunktechnik darauf aus, die Wiedergabe durch den Lautsprecher dem Klangbild, das man im Senderaum resp. Konzertsaal usw. empfangen würde, restlos


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