- 128 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Stiften oder Bleyfedern bezeichnet war”. Unger erfand dazu eine besondere Notation, der Dauer der Noten entsprach die Länge der Striche. Im Prinzip handelte es sich also um eine Art von musikalischer Schreibmaschine, die am Klavier angebracht war. Unger versprach sich von diesem Instrument für die musikalische Komposition viel. Er wußte, daß mancher Musiker schöner am Klavier phantasierte, als er kompositorische Gedanken nachher zu Papier bringen konnte. Mit einem Nachtwandler vergleicht er den frei phantasierenden Künstler, den man nicht anrufen dürfe. “Und viele der stärksten musikalischen Geister behandeln ihr Instrument niemalen reizender, als indem sie allgemach ihre Seelenkräfte gänzlich davor abziehen, auf einen ganz anderen Gegenstand richten. Sie fallen aber in das Mattere, sobald sie sich ihres Geschäftes wiederum mehr bewußt werden.” Die Technik des Komponierens, die Notation zerstört den Einfall; dieser Gedanke ist auch heute noch lebendig. Ungers Maschine und alle ähnlichen Erfindungen bis auf unsere Tage bringen aber doch nicht die Lösung des Problems; sie können den Einfall doch nicht vor fremden Einflüssen schützen. Denn man vergesse nicht, daß allein der Gedanke daran, daß die freie Phantasie nun durch eine Maschine notiert wird, ja genügt, um im Künstler doch wieder das störende Bewußtsein von der Aufbewahrung und Verbreitung seiner Einfälle wachzurufen. Der Mensch ist auch vor dem Mikrophon nicht frei, ganz für sich und einsam, sondern er denkt bewußt an die Übertragung, er steht in Konnex mit der Außenwelt.




III


Bis hierher haben wir die Bemühungen, zu einer technischen Vervollkommnung der Instrumente selbst zu gelangen, verfolgt. Die Erfindung ging primär vom Instrument aus. Schon früh setzte eine andere große geistige Bewegung ein, die nicht primär an das einzelne Instrument dachte, sondern an die Vereinigung und Beziehung der Phänomene selbst. Das akustische Phänomen, der Klang, wurde in Beziehung zu einem der andern Phänomene gesetzt. Beide zusammen sollten einen höheren Standpunkt der Technik und eine Erweiterung und Vertiefung des Weltbildes überhaupt ermöglichen. Auch die Musik hat an dieser Bewegung, die selbst in unsern Tagen längst noch nicht abgeschlossen


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