Leser, besonders außerhalb der Laienmusik Stehenden dürfte unmißverständlich klar
geworden sein, wie »die Pflege der wertvollen Instrumentalmusik aus Vergangenheit und
Gegenwart« zu erfolgen habe. Waren Häufigkeit, regionale Streuung oder Qualität
der Aufführungen maßgebend? Oder verengte sich das Begriffsverständnis nur
auf die Beschäftigung mit dem Werk in der Probenarbeit, die einen ebenfalls
näher zu bestimmenden »Wert in sich trägt?« Wie entstand und äußerte sich
Orchesterarbeit als »kulturelles Verantwortungsbewußtsein und Aufgabenfeld?«
Gab es hier einen Modus von Angebot und Nachfrage, eine Wechselwirkung
zwischen den gesellschaftlichen Gruppen der Orchester und der interessierten
Öffentlichkeit »im Dienst des Gemeinwohls?« Deckten sich die Erwartungen von
Instrumentalisten und Außenstehenden, oder agierten sie aneinander vorbei? Obwohl
der Dachverband sich schneller als viele Mitgliedsorchester wieder konstituiert
hatte, blieben logistische Hilfestellung für die Probleme vor Ort aus. Vielmehr
beschränkte sich die Verbandsführung in dieser Situation auf übergeordnete ideelle
Zielsetzungen. Erst durch Festvorträge und Gespräche anläßlich der Bundestagungen,
zu denen einzelne namhafte Musikwissenschaftler, -kritiker oder -soziologen
geladen wurden, erweiterten sich die Stellungnahmen und häuften sich kritische,
entwicklungsorientierte Stimmen, die zunehmend in die Verbandszeitschrift Eingang
fanden und über sie eine sich erweiternde Zielgruppe erreichten. Eine 1956 aufkeimende
Kontroverse123
123 Sie sei »die einzige grundsätzliche Kontroverse über Sinn und Aufgabe des Bundes«
dieser Jahre geblieben. (ZIMMERREIMER, in DLO 1956, Heft 3, S. 35.)
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um die Ehrung einzelner Orchestermitglieder, deren Befürworter eine Würdigung
der Leistung Einzelner für das Ganze, die Kritiker eine Überbewertung des
Einzelnen gegenüber der Ensembleleistung und die Gefahr der ›Vereinsmeierei‹ sah,
gehört ebenfalls in diese Diskussion um ideologische Standpunkte des Verbandes
zum Leistungsgedanken. Es bleibt jedoch festzuhalten, wie es schon für die
Vorkriegsorganisation RDOV ermittelt wurde, daß die skizzierten ideologischen
Ansätze der 1950er Jahre zunächst nur von einem kleinen Personenkreis um
MANTZE artikuliert wurden. Die Orchester vor Ort waren zeitgleich ganz banal
und elementar mit der Wiederbeschaffung von Spielmaterial (Noten, Pulte,
Räumlichkeiten, Instrumente) und dem Wiederaufbau des Orchesterapparates im
Sinne der Vorkriegskonstellation, oft unter derselben künstlerischen Leitung,
beschäftigt.124
124 PRINGSHEIM 1967, S. 8: »Es hat lange gedauert, bis nach der totalen Niederlage und
vollkommenen Zerstörung der kulturellen Institutionen diese nach und nach
wiederhergestellt wurden und die aufgerissenen Mitgliederlücken bei den zunächst
zaghaften Versuchen eines Neuaufbaus der Liebhabervereine halbwegs wieder
gefüllt werden konnten [. . .] zu inzwischen ohne Zweifel weiter vervollkommneten
Orchesterkultur.«
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Zehn Jahre nach Kriegsende sind viele Orchester mit z.T. regional weiträumigem Einzugsgebiet wieder
spielfähig.125
125 Kreiskammerorchester Diepholz-Vechta, OBERBORBECK, in DLO 1956, Heft 3, S. 36:
»Die Mitglieder kommen zu Fuß, auf Rädern und in Kraftwagen mehr als 20, 30, ja 50
km zu den wöchentlichen Proben zusammen.«
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Die Frage nach Ursache und Wirkung von gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, politischen
Forderungen und Unterstützungen der Laienorchester, blieb in den 1950er Jahren
zunächst noch offen. Das öffentliche Interesse, das die Orchester mit ihren Konzerten
einforderten, diente wiederum als Bekräftigung der eigenen Existenzberechtigung. Ein
weiterer Kernpunkt der kultur- und bildungspolitischen Intentionen des BDLO nach
1952 ist das eigene aktive Musizieren gegenüber dem mit passivem Konsum
gleichgesetzten Umgang mit den technischen Medien Rundfunk, Tonträger und
Fernsehen.
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