- 124 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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als Festredner ein rennomierter Musikwissenschaftler, was als Bestreben gedeutet werden darf, daß man versuchte, Anschluß an die professionelle und fachwissenschaftliche Szene zu finden. Die Bundestagung fand vor allem Niederschlag durch HEINZ PRINGSHEIM110
110 HEINZ PRINGSHEIM (1882–1974) war ausgebildeter Kapellmeister und Korrepetitor und schrieb Musikkritiken für die Berliner Volkszeitung und die Allgemeine Musikzeitung.
in der ›Allgemeinen Musikzeitung‹.111
111 PRINGSHEIM 1930.
Pringsheim knüpft in seinem Artikel an die Grundgedanken Menges von 1922 an, allerdings wird der Aspekt der »Entscheidungshilfen in künstlerischen Fragen« übergangen. Lediglich drei ›Typen‹ von Werken für Liebhaberorchester werden vorgestellt: ›Orchesteretüden‹, ›Spielmusiken‹ und ›Konzertmusiken‹. Die Aufgabe, die sich hieraus ergeben hätte, nämlich diese Materialien den Laienorchesterdirigenten und -spielern näherzubringen, Hintergrundinformationen und praktische Erarbeitungshilfen zu geben, wird nicht thematisiert. Die Motivationsproblematik dieser Literatur klingt zwischen den Zeilen bezüglich des Schulorchesters an: »Wenn man den einführenden Worten [. . .] glauben darf, so haben die jungen Leute ihre Freude daran [›Komposition für Streichorchester 1930‹ von H. HEISS, Leiter des Orchesters]; persönlich hatte ich allerdings den Eindruck, daß sie sich bei einer Suite von Telemann mit stärkerer innerer Überzeugung« ins Zeug legten.112
112 PRINGSHEIM 1930, S. 742.
Mantze führte den ›Reichsbund Deutscher Orchestervereine‹ von 1929 bis zu seiner Gleichschaltung 1934 in der ›Fachgruppe I der Fachschaft Volksmusik in der Reichsmusikkammer‹ unter nationalsozialistischer Kulturpolitik,113
113 Die genaue Zuordnung der Laienorchester erfolgte unter ›D III Reichsverband für Volksmusik‹, Fachverband für alle instrumentale Volksmusik treibenden Vereine, Mitgliederbestand 200.000 im ›Amt für Chorwesen und Volksmusik‹ der Reichsmusikkammer, die ihrerseits Teil der Reichskulturkammer war, und damit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (J. Goebbels) unterstellt war. (HEISTER/KLEIN, 1984, S. 79.)
wobei ›Gleichschaltung‹ sich durch Anpassung oder Auflösung der Vereine vollzog. Unklar ist schon das Verhalten des Verbandsvorsitzenden selbst. SCHÄFER interpretiert die Haltung Mantzes als innere Emigration bei gleichzeitiger öffentlicher Anpassung im Notwendigsten.114
114 »Das Eigentümliche ist eigentlich gewesen, daß seine Liebe zum AOB so weit ging, daß er 1933 und in den folgenden Jahren gesehen hat, daß er mit dem Orchester in eine unheilvolle Zwickmühle kommen müßte, und dann gab es den Beschluß, daß das Orchester sich auflöste. Wahrscheinlich war eine ganze Reihe von Juden drin, Dirigenten, mit denen er befreundet war, emigrierten, und das AOB ist erst nach dem Krieg wiedergegründet worden, während er Vorsitzender der Fachschaft Volksmusik der Reichsmusikkammer wurde. Das ist eine Sache, die mir noch unklar ist, und wenn ich die Zeitschriften der Fachschaft, die in der Zeit herausgegeben worden sind, ansehe, so fungiert er zum Teil als Hauptschriftleiter. Das heißt, er ist Vorsitzender dieser Fachschaft gewesen, und ihm war wahrscheinlich, weil er ausgesprochen konservativ war – er kam aus Ostpreußen und betonte das immer wieder – dieses doch proletarische Gebaren der Nazis und der Parteimitglieder höchst zuwider, und doch hat er das mitgemacht. Interessant ist, wenn man die Zeitschrift durchblättert, daß die ideologischen Artikel alle von anderen stammten, er hat zunehmend nur Bekanntmachungen der Reichsmusikkammer, die er weitergeben mußte, aufgrund seiner Funktion veröffentlicht, aber inhaltlich hat er nie dazu Stellung genommen. Ich würde das durchaus so auffassen, daß es eine Art provokanter Resignation war, nur das zu tun, was er mitmachen mußte.« (SCHÄFER, FB 1.)
Dieser Versuch der politischen Distanzierung kann jedoch nicht über die vielerorts erfolgte nationalsozialistische Einbindung der Orchester115
115 SCHÄFER, FB 1: »Was während der 1930er Jahre passiert ist, weiß ich im Grunde genommen kaum, außer, daß sie mitmarschiert sind. Ich weiß von einigen Orchestern, die sich angeschlossen hatten, und selbst ein Arbeiterorchester wie in Nürnberg hat umgeschaltet und ist ein SA- Orchester geworden. Es hat mit demselben Dirigenten weitergemacht, als sei nichts gewesen. Bei den Blasorchestern hat es dagegen Streit gegeben, da ihnen die Instrumente beschlagnahmt wurden. Die haben dann noch nach 1950 Prozesse gegen den Bundesfinanzminister geführt, der Treuhänder dieses ungeklärten Vermögens war.«
hinwegtäuschen. Bis zum Kriege

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