aber
den Laienorchestern nahegelegt. Auch Hindemith selbst differenzierte unter den musizierenden
Laien.95
95 Im MGG-Artikel von PREUSSNER wird zwischen Schul- und Laienmusik Hindemiths
nicht mehr unterschieden: »Mit seinen Spielmusiken und in vielen Gelegenheitswerken hat
er [Hindemith] gezeigt, wie der Komponist heute, ohne in den Fehler absichtsvoller
Popularisierung zu verfallen, seinen schöpferischen Beitrag zur Erneuerung der
Laienmusik leisten kann.« (PREUSSNER, Sp. 447.)
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Der Musikantengilde warf er 1933/35 vor, den Übeaufwand eines Instrumentes
als Voraussetzung für einen musikalischen Bildungs- und Entwicklungsprozeß
abzulehnen.96
96 Stattdessen würde »die ganze Musikgeschichte durchgewühlt, um den blockflötenden
und lautespielenden Sekten ›Liedgut‹ und ›Spielmusik‹ zu bieten. Aus der neuen Musik
übernahmen sie wahllos Gutes und Schund, wenn es ihnen nur gesinnungsmäßig entgegen
kam und ihrer technischen Unfähigkeit entsprach.« (HINDEMITH, Aufsätze für ein
Handbuch der Musik, Typoskript 1933/35, zit. bei SCHUBERT, S. 69.)
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Andererseits schätzte er den musizierenden Laien »der sich ernsthaft mit musikalischen Dingen
befaßt. [Er] ist ein ebenso wichtiges Glied unseres Musiklebens wie der ernsthaft arbeitende
Musiker.«97
97 HINDEMITH, Forderungen an den Laien, in: Musik und Gesellschaft 1 (1930), S. 8, zit.
bei SCHUBERT, S. 68.
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SCHUBERT verweist in seiner Hindemith-Biographie in diesem Zusammenhang auf einen
Brief des Schott-Verlages 1927 an Hindemith, in dem ihm nahegelegt wurde, seine
Laienmusik sei über das Genre der Unterrichtswerke hinaus »dem Schwierigkeitsgrad
nach berufen, [. . .] auch Musizierstoff für die modern eingestellten Laienkreise zu sein
[. . .]«98
98 Brief des Schott-Verlages an Hindemith, vom 12. 2. 1927.
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SCHUBERT kommentiert diese vage Formulierung »modern eingestellte Laienkreise«
ausschließlich in bezug auf die Jugendmusikbewegung, es liegt aber vielmehr nahe, die
Laienorchester einzubeziehen, zumal drei Jahre zuvor der Dachverband BdO, mit dem
Schott-Mitarbeiter Franz Menge als Erstem Vorsitzenden, gegründet worden war.
Man kann wohl davon ausgehen, daß für den Verlag nicht nur die pädagogische
›Gebrauchsmusik‹99
99 Hindemith hatte ungewollt diesen Begriff zum Synonym für Laienmusik und Schulwerke
werden lassen, nutzte ihn später aber eher für in seinen Augen unbrauchbare
Musik schlechthin. Der Begriff ›Gebrauchsmusik‹ für pädagogisch und nicht
künstlerisch gewertete Musik behauptete sich aber weiterhin. Vgl. SCHUBERT,
S. 74f.
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und die Bildungsfunktion im Vordergrund standen, sondern in den ca. 170 deutschen
Laienorchestern und ihren erwachsenen kaufkräftigen Einzelmitgliedern ein potentieller
Kundenkreis gesehen wurde, von dem man hoffen konnte, daß er mittels der Werke
Hindemiths ein Kaufinteresse bezüglich Neuer Musik entwickeln könnte. Die Analyse des
gespielten Repertoires in Kap. 4.1. zeigt, daß diesem Ansinnen ein gewisser Erfolg
beschieden war: Neben Bartók, Britten und Genzmer gehört Hindemith zu den vier am
häufigsten gespielten Komponisten des 20. Jahrhunderts in BDLO-Orchestern, besonders
in Streicherbesetzung, zwischen 1952 und 1997 (s. Kap. 4.1.6., Abb. 34). Hindemiths
schöpferisches Interesse an Laienorchestern beschränkte sich auch nur auf den
kurzen Zeitraum von 1927–1930/32. Dann war bereits eine Entfremdung zwischen
der Jugendmusikbewegung und ihm eingetreten. Hindemith orientierte sich ab
1930 wieder stärker an den Möglichkeiten, ›repräsentative Konzertmusik‹ zu
schreiben.100
100 SCHUBERT, S. 75. Brecht, Weill und Hindemith hatten zu dritt experimentell versucht,
mittels des Mediums Rundfunk, den Hörer in ›Lehrstücke‹ unter dem Motto »Musik
machen ist besser als Musik hören« einzubinden. (BRECHT, Modell der Lehrstücke, hrsg.
v. R. STEINWEG, Frankfurt a.M. 1976, S. 38f., zit. bei SCHUBERT, S. 72.) Auch dieses
Projekt wurde zeitgleich beendet.
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