- 121 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (246)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

aber den Laienorchestern nahegelegt. Auch Hindemith selbst differenzierte unter den musizierenden Laien.95
95 Im MGG-Artikel von PREUSSNER wird zwischen Schul- und Laienmusik Hindemiths nicht mehr unterschieden: »Mit seinen Spielmusiken und in vielen Gelegenheitswerken hat er [Hindemith] gezeigt, wie der Komponist heute, ohne in den Fehler absichtsvoller Popularisierung zu verfallen, seinen schöpferischen Beitrag zur Erneuerung der Laienmusik leisten kann.« (PREUSSNER, Sp. 447.)
Der Musikantengilde warf er 1933/35 vor, den Übeaufwand eines Instrumentes als Voraussetzung für einen musikalischen Bildungs- und Entwicklungsprozeß abzulehnen.96
96 Stattdessen würde »die ganze Musikgeschichte durchgewühlt, um den blockflötenden und lautespielenden Sekten ›Liedgut‹ und ›Spielmusik‹ zu bieten. Aus der neuen Musik übernahmen sie wahllos Gutes und Schund, wenn es ihnen nur gesinnungsmäßig entgegen kam und ihrer technischen Unfähigkeit entsprach.« (HINDEMITH, Aufsätze für ein Handbuch der Musik, Typoskript 1933/35, zit. bei SCHUBERT, S. 69.)
Andererseits schätzte er den musizierenden Laien »der sich ernsthaft mit musikalischen Dingen befaßt. [Er] ist ein ebenso wichtiges Glied unseres Musiklebens wie der ernsthaft arbeitende Musiker.«97
97 HINDEMITH, Forderungen an den Laien, in: Musik und Gesellschaft 1 (1930), S. 8, zit. bei SCHUBERT, S. 68.
SCHUBERT verweist in seiner Hindemith-Biographie in diesem Zusammenhang auf einen Brief des Schott-Verlages 1927 an Hindemith, in dem ihm nahegelegt wurde, seine Laienmusik sei über das Genre der Unterrichtswerke hinaus »dem Schwierigkeitsgrad nach berufen, [. . .] auch Musizierstoff für die modern eingestellten Laienkreise zu sein [. . .]«98
98 Brief des Schott-Verlages an Hindemith, vom 12. 2. 1927.
SCHUBERT kommentiert diese vage Formulierung »modern eingestellte Laienkreise« ausschließlich in bezug auf die Jugendmusikbewegung, es liegt aber vielmehr nahe, die Laienorchester einzubeziehen, zumal drei Jahre zuvor der Dachverband BdO, mit dem Schott-Mitarbeiter Franz Menge als Erstem Vorsitzenden, gegründet worden war. Man kann wohl davon ausgehen, daß für den Verlag nicht nur die pädagogische ›Gebrauchsmusik‹99
99 Hindemith hatte ungewollt diesen Begriff zum Synonym für Laienmusik und Schulwerke werden lassen, nutzte ihn später aber eher für in seinen Augen unbrauchbare Musik schlechthin. Der Begriff ›Gebrauchsmusik‹ für pädagogisch und nicht künstlerisch gewertete Musik behauptete sich aber weiterhin. Vgl. SCHUBERT, S. 74f.
und die Bildungsfunktion im Vordergrund standen, sondern in den ca. 170 deutschen Laienorchestern und ihren erwachsenen kaufkräftigen Einzelmitgliedern ein potentieller Kundenkreis gesehen wurde, von dem man hoffen konnte, daß er mittels der Werke Hindemiths ein Kaufinteresse bezüglich Neuer Musik entwickeln könnte. Die Analyse des gespielten Repertoires in Kap. 4.1. zeigt, daß diesem Ansinnen ein gewisser Erfolg beschieden war: Neben Bartók, Britten und Genzmer gehört Hindemith zu den vier am häufigsten gespielten Komponisten des 20. Jahrhunderts in BDLO-Orchestern, besonders in Streicherbesetzung, zwischen 1952 und 1997 (s. Kap. 4.1.6., Abb. 34). Hindemiths schöpferisches Interesse an Laienorchestern beschränkte sich auch nur auf den kurzen Zeitraum von 1927–1930/32. Dann war bereits eine Entfremdung zwischen der Jugendmusikbewegung und ihm eingetreten. Hindemith orientierte sich ab 1930 wieder stärker an den Möglichkeiten, ›repräsentative Konzertmusik‹ zu schreiben.100
100 SCHUBERT, S. 75. Brecht, Weill und Hindemith hatten zu dritt experimentell versucht, mittels des Mediums Rundfunk, den Hörer in ›Lehrstücke‹ unter dem Motto »Musik machen ist besser als Musik hören« einzubinden. (BRECHT, Modell der Lehrstücke, hrsg. v. R. STEINWEG, Frankfurt a.M. 1976, S. 38f., zit. bei SCHUBERT, S. 72.) Auch dieses Projekt wurde zeitgleich beendet.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (246)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 121 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit