- 117 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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Musizieren«.77
77 CASPARI, S. 354.
Nach und nach öffneten sich diese Ensembles auch Interessenten, die nicht dem Betrieb angehörten. Im Spektrum der enstehenden Bildungsvereine fanden sowohl die bürgerlichen Liebhaberorchester als auch die Werksorchester fortan ihren Platz. Die Entwicklung der Werksorchester im einzelnen, die sich zwischen modernem Mäzenatentum der Betriebsleitung und vereinsmäßiger Selbständigkeit vollzog, sowie das Schicksal vieler ehemaliger VEB-Orchester der DDR bedürften noch einer eigenen musikwissenschaftlichen Untersuchung. Ihre Konzertprogramme und Arbeitsinhalte seit 1989 sind mit den Informationen über Collegia musica und bürgerliche Orchestervereine der BRD seit 1952 in den Quellenbestand der Repertoireanalyse von Kap. 4 eingeflossen.

Parallel zu dieser Typologie lassen sich drei Phänomene der Repertoireanalyse beobachten: Akademische Orchester sind diejenigen Ensembles, die am ehesten unbekannte Werke, Uraufführungen, kommentierte oder unkonventionelle Konzertformen wählen (z.B. Bremen, Kiel, Berlin u.a.). Eine Schwerpunktbildung bezüglich der Werke der Wiener Klassik wurde bereits im 19. Jahrundert, besonders durch bürgerliche Orchestervereine im Wechselspiel mit Musikverlagen, angelegt. Auch die Beliebtheit von Oratorien von Haydn oder Händel sowie der großen Messen von Mozart, Bach und Schubert hat in den zum Teil heute noch bestehenden und an einer entsprechend langen Tradition orientierten bürgerlichen Orchestervereinigungen ihren Ursprung.78

78 Vgl. Abb. 39 und Abb. 4
Zum dritten gibt es für Programme, die aus einer bunten Mischung von Einzelstücken, oftmals aus dem Operetten- oder Musicalbereich, oder in einer Kombination von Märschen, Walzern, Polkas und Potpourris bestehen, und die noch heute als »Unterhaltungskonzert« deklariert werden, im 19. Jahrhundert bei den Werksorchestern durchaus deckungsgleiche Vorbilder. Diese Konzertstruktur hat sich erhalten, wird aber nicht mehr nur von dem Orchestertypus »Werksorchester«, sondern ebenso von anderen Orchesterformationen gewählt. Hieraus erklärt sich zweifellos der hohe Anteil der Werke von Johann Strauß (Sohn) im Analyseergebnis.79
79 Vgl. Kap. 4.1.3. und 4.1.7.

Historisch bedingte Auswahlkriterien lassen sich weiterhin geltend machen, wenn sich nachweisen läßt, daß die Gründung des Dachverbandes BDLO 1924 repertoirebezogene Zielsetzungen verfolgte. Der Gründungsaufruf FRANZ MENGES in der ›Neuen Musikzeitung‹ 1922 zielte ideell darauf ab, daß »eine nicht mehr allzu ferne Zukunft auch unseren Orchestervereinen den Platz in der ›praktischen Musikpflege‹ und den ›musikalischen Volksbildungsbestrebungen‹ einräumt, der ihnen gebührt!«.80

80 MENGE, S. 213, Sp. 1 und S. 214.
Mit ›praktischer Musikpflege‹ war das gesellschaftlich anerkannte Laienmusizieren vornehmlich mit Bezug auf die klassische Musikliteratur gemeint, und ›Volksbildungsbestrebungen‹ waren in der Weimarer Zeit in allen Bildungsschichten virulent.81
81 Vgl. GRUHN 1993, S. 163, 177–194.; NOHL in ROTH, S. 422; ECKART-BÄCKER 1987 b und 1988.
In der Erwachsenenbildung prägte sich das Bewußtsein von Theorie und Praxis einer ›allgemeinen Volksbildung‹ aus. In ihr nahm die Musik einen zentralen Stellenwert ein, da sie als Bestandteil des Volksgutes zu einem Weg der ›Menschenbildung‹ wurde und funktionale Bedeutung erhielt. Entscheidend aufgewertet wurde in diesem Zusammenhang das eigene Musizieren als Methode und Form der

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