- 116 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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an alter Musik Interesse zeigten. Die Nachfrage regelte das Angebot, und die Verleger reagierten schnell. Als ›alte Musik‹ galten bereits Werke, die zwanzig Jahre zuvor entstanden waren. Schon bald konnten Laienorchester aber auch gedruckte Werke der Vor- und Frühklassik auflegen und sich nach und nach das sinfonische und oratorische Werk Haydns, Mozarts und Beethovens erschließen. Das aktuelle sinfonische Feld dagegen blieb bis auf weiteres den Berufsorchestern vorbehalten.

3. Werksorchester in Sinfonieorchesterbesetzung haben sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebildet und gleichen in ihrer Struktur den bürgerlichen Orchestervereinen, zumal sie sich gegenüber den Werkskapellen und -chören aus den höheren Angestellten und Beamten eines Betriebes zusammensetzten.73

73 Siehe STEEGMANN S. 24.
Sie haben ihre Wurzeln in der allgemeinen Arbeiterbildungsbewegung, die nach der Revolution von 1848 einen erneuten Aufschwung erfuhr. Werksorchester74
74 Ein »Werksorchester« war aber nun keineswegs die Formation eines Sinfonieorchesters. Überwiegend bildeten sich Werkskapellen in Erweiterung der ›Bergkapellen‹ des Industriezweiges Bergbau. Werkskapellen waren Blaskapellen, deren differenzierte Entwicklung im Sammelband »Musik und Industrie« von MONICA STEEGMANN überzeugend nachgezeichnet wird. Sinfonieorchester bildeten sich erst in einer dritten Entwicklungsstufe neben Werkschören und -kapellen in Großunternehmen, die in der Hand eines privaten Industriellen (z.B. Krupp in Essen, Duisberg in Elberfeld) lagen, und in denen neben den Arbeitern auch zahlreiche Beamte und Kleinbürger beschäftigt waren, die sich eher zum Sinfonieorchester als zur Blaskapelle orientierten.
orientierten sich zunächst auch an der Struktur der bürgerlichen Liebhaberkonzerte und etablierten sich in einer mehrstufigen Entwicklung des »Arbeiterkonzertes«:75
75 Zur Problematik des Terminus »Arbeiterkonzert« für Veranstaltungen von oder für Arbeiter, oder für eine musikalische Gattung, siehe SCHWAB 1978, S. 86.
  • 1. Stufe: Bürgerliche Orchester veranstalteten Wohltätigkeitskonzerte für Bürger, der Erlös ging notleidenden Arbeitern zu.
  • 2. Stufe: Bürgerliche Orchester veranstalteten Volkskonzerte für mittlere und untere Bürgerschichten und Teile der Arbeiterschaft, die als Hörer einen ersten musikalischen Bildungsprozeß erlebten.
  • 3. Stufe: Arbeiter wurden in Werkschören aktiv.
  • 4. Stufe: Es gründeten sich Arbeiterkammerorchester, Werkskapellen und Werks- (Sinfonie-)orchester.

Bildungsinteressen des Bürgertums (Instrumentalspiel) und der Arbeiterschaft (Konzertbesuch) wurden auf diese Weise durch die Firmenleitung verknüpft und als betriebsinterner Bildungsauftrag gesehen. Dahinter stand aber auch die Absicht, die Arbeitsmoral durch sinnvolle Freizeitangebote zu sichern und den Alkoholkonsum im Wirtshaus in Grenzen zu halten.76

76 Siehe STEEGMANN, S. 17 und S. 9; Vgl. GUTKNECHT, S. 391–393.
Hinzu kamen Anstöße der nach 1848 durch die Versammlungsfreiheit erstarkenden Arbeiterbildungsbewegung sowie konkrete Anlässe innerhalb der Werksgemeinschaften, die nach einer feierlichen musikalischen Umrahmung verlangten. Durch das längst übliche gemeinsame Singen zu Arbeitsbeginn oder während der Arbeitsstunden (bes. bei Frauen) lag es nahe, die musikalischen Möglichkeiten zu erweitern. Das musikalische Angebot umfaßte »1. Vorführung guter Musik durch Künstler und 2. Anleitung zum selbständigen

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