- 67 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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sich die z.T. verschieden gestalteten Phasen des Mittelteils in diesen syntaktischen Fluß einreihen und in diesem Schema viel von ihrem Kontrast einbüßen. Die Untersuchung des Mittelteils zeigt, daß die Einheitlichkeit des Materials und die syntaktische Struktur des Bibelberichts der Musik eine innere und eine äußere Klammer geben, durch die das Verschiedene weniger spannungsvoll aufeinandertrifft.

Ein weiteres wesentliches Merkmal in Pärts Passio ist die ordnungshafte Struktur, das hier - als Umkehrung des Adorno'schen Begriffs der Subjektivität (s.o.) - als Objektivität bezeichnet werden soll. Die Regelhaftigkeit ihres Materials dominiert die musikalische Textur. Daß sich die Johannespassion tendenziell nach objektiven Strukturen ordnet, geht teilweise auf Pärts kompositorisches Grundprinzip des Tintinnabuli-Stils zurück - das alleine reicht jedoch nicht, wie wir von freier komponierten Tintinnabuli-Werken wissen. Ferner trägt Pärts spezifische Gestaltung von vokaler Musik stark zur Verregelung dieser Komposition bei. Hier ist insbesondere der objektive Zuschnitt des Wort-Ton-Verhältnisses zu erwähnen. Schließlich verstärkt die spezifische architektonische Anlage dieses Werkes den schematischen Eindruck.

In der Johannespassion sind Strukturen angelegt, die strikten Ordnungskriterien gehorchen und der formalen Anlage etwas Musterhaftes geben. Das Grundprinzip von Pärts Komposition wurde bereits besprochen. Aus den Bausteinen vertikaler und horizontaler Verläufe komponiert Pärt homophone Musik. Die Anordnung dieses Materials geschieht nie willkürlich. Schon auf dieser rein materialen Ebene gibt es Regeln, die Dreiklang und Leiter ordnen. Den Verlauf des Skalenmaterials ordnen Tonzentren, die den Stimmführungen einen wichtigen Fixpunkt zuweisen. Die Skalen streben von ihrem zugeordneten Zentrum weg oder führen wieder zu ihm zurück. Indem Pärt dieses ordnungshafte Material darüber hinaus durch den Text strukturiert, wird die musikalische Textur noch um ein Vielfaches objektiver. Die Silben, Wörter und Phrasen des Textes bestimmen den Rhythmus und auch das Melos der Musik (z.B. Länge der Skala hängt von der Zahl der Silben ab) und geben dadurch der gesamten Passion eine Ordnung, die eine sprachliche Struktur abbildet. Paul Hillier zeigt auf, daß Pärt insbesondere für den mittleren Teil der Passion den jeweiligen Abschnitten kurze, mittlere und lange Notenwerte zuordnet. Die Musik strukturiert sich jeweils durch die Textphrasen: Jede Silbe wird mit einem Ton versehen. Die Satzzeichen trennen die Phrasen voneinander und werden musikalisch durch Pausen realisiert. Sie legen ebenfalls die Notenlängen der syllabisch vertonten Wörter fest. Für die Gestaltung der Tondauern ist entscheidend, welches Satzzeichen zwischen den Textabschnitten steht. Komma, Fragezeichen oder Punkt determinieren den musikalischen Rhythmus (vgl. Hillier 1997, 127).

Ferner gibt Pärt der Johannespassion eine Gestalt, die aus anderen formalen Gründen regelhaft und schematisch ist. Neben der formalen Anlage als dreiteilige Form - Exordium, Bibeltext und Conclusio - ist die Johannespassion im Sinne einer umfassenden Symmetrie zwar nicht einheitlich angelegt. Dennoch verfährt Pärt in der Gestaltung des Materials sehr schematisch. Die unterschiedlichen Tondauern, Tonzentren und Dreiklangsmaterialien der Passion werden den verschiedenen Protagonisten strikt zugeordnet. Die Evangelistenpartie kreist z.B. bis zuletzt um den einen Akkord a-Moll, genauso wie die anderen Gruppen ihre materiale Grundlage


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