- 66 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Substanz tritt ein zweiter Aspekt hinzu, der die Musik homogen erscheinen läßt: die Reduktion der musikalischen Mittel. Wurde zuvor gesagt, alles entspringe einer Keimzelle, so muß man nun feststellen, daß Pärts Johannespassion immer Keimzelle bleibt. Auch wenn Pärt das Tonzentrum verschiebt, die Stimmen mehrt, die Klangfarbe wechselt, bleibt die Partitur dennoch die sparsame Darstellung jener zwei einfachen Regeln. Das fortwährend Gleiche der Textur bleibt über die gesamte Strecke der Musik als karges Gerippe ersichtlich. Die reduzierte Vereinheitlichung des Materials gleicht einem inneren roten Faden, der sich durch alle Schichten der Passion zieht. Daraus ergibt sich, daß die stringente innere Einheit den materialen Kontrast abschwächt und entspannt. Schließlich spielt Pärts undramatische Gestaltung des Bibeltextes für die Kontrastentspannung im Mittelteil eine entscheidende Rolle, z.B. in der Gethsemaneszene (vgl. Passio, Jesus und Evangelist, Taktziffer 12-13).

Zunächst fällt auf, daß sich die vierstimmige Evangelistengruppe und die direkte Rede Jesu beziehungslos gegenüberstehen. Funktionsharmonische Verknüpfungen im klassischen Sinne kommen wie beschrieben nicht vor. Betrachtet man den Einsatz des Solistenquartetts nach den dynamisch und rhythmisch sehr verhaltenen Jesusworten, so erscheint er weder dramatisch vorbereitet noch unvermittelt überraschend. Der Wechsel von Solo und Chor ist nicht zuletzt deswegen so spannungslos, weil Pärt die beiden Gruppen durch eine Pause voneinander trennt. Sie ist jedoch keine einmalige Trennung von zwei verschiedenen Abschnitten. Sie mildert jedoch nicht nur die unmittelbare Spannung zwischen den Gegensätzen, sondern weist auf einen übergeordneten Zusammenhang hin, der in Pärts Wortvertonung begründet liegt: Pärt vertont die Bibelworte syllabisch. Pro Silbe setzt Pärt einen Ton, jede Textphrase wird syntaktisch in Musik umgesetzt, Interpunktion zwischen den Phrasen wird durch Pausen angezeigt. Musik und Pausen sprechen und atmen so den unablässigen Rhythmus des Textes und folgen dem Muster von Phrase, Interpunktion, Phrase etc.. Das so eben skizzierte Beispiel zeigt exemplarisch, wie


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