- 62 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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An zwei Beispielen aus Bachs Johannespassion möchte ich verdeutlichen, welche spannungsvollen Wirkungsstrukturen die Musik beinhalten kann.
 
 


Tabelle 1: Johann Sebastian Bach, Johannespassion, Herr, unser Herrscher

Der Eingangschor Herr, unser Herrscher erhält aus seiner funktionsharmonischen Struktur eine ausgeprägte Kontrastspannung (vgl. Tabelle 1). Seine thematischen Einheiten werden fast ausschließlich durch Tonika-Dominantspannungen bestimmt (z.B.: Sinfonia, Takt 1: t, Takt 18: D). Fügen sich die kontrastreichen Kleinstrukturen zu einem Ganzem, schlägt der musikalische Verlauf stets von Entspannung in Spannung um und umgekehrt. Die formale Anlage dieses Chores enthält indes mehr als nur den strukturellen Spannungsverlauf ihrer Kleinstrukturen. Als Da-capo-Form entsteht ein großangelegter Kontrast: von der Tonika des A-Teils spannt sich der Bogen zum Halbschluß von B, um schließlich in der Tonika des wiederholten A-Teils zu enden. Tonika und Dominante durchweben das ganze Stück und verleihen ihm seine Wirkungsstruktur durch wechselnde Anspannung und Entspannung.

Ein weiteres hervorstechendes Merkmal von Bachs Johannespassion ist ein materiales Phänomen, das ich als Subjektivität bezeichnen möchte. Subjektiv meint hier von der Norm abweichend und ist im Sinne Adornos zu verstehen, der in seinem Aufsatz "Bach gegen seine Liebhaber verteidigt" das nicht Ordnungshafte, das Abweichende in Bachs Musik zum Gegenstand seiner Überlegungen machte (vgl. Adorno 1977, 139ff.). Daran knüpfen die folgenden Untersuchungen an.


Tabelle 2: Johann Sebastian Bach, Johannespassion, Abweichungen in der Da-capo-Form

Wie der Tabelle 2 zu entnehmen ist, weicht Bach mit einer Ausnahme in der Johannespassion vom Schema der klassischen Da-capo-Form ab. Alfred Dürr meint lediglich im Satz 20 die reine Version des Da-capo zu entdecken, d.h., daß dort z.B. die Wiederholung nicht variiert wird (vgl. Dürr 1988, 95). Aber selbst dieser Satz entspricht nicht völlig den Anforderungen eines perfekten Da-capo-Schemas. Martin Geck zeigt nämlich, daß der Mittelteil dieses Arioso thematisch vom vorhergehenden A-Teil abgeleitet ist. Dadurch ist die typische Kontrastwirkung des Da-capo abgeschwächt (vgl. Geck 1991, 66).

Dürr und Geck sprechen die beiden wichtigsten von der Norm abweichenden Aspekte in Bachs Kompositionsverfahren an: Variation und Angleichung. Variation ist dann in Bachs Arien zu beobachten, wenn statt der blockhaften Kontrastierung zweier gleicher A-Teile mit einem darin eingeschlossenen B-Teil der zweite


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