- 53 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Erscheinung. Das spätere Werk läßt sich als Zeuge dafür anführen, daß die Mittel der Suche dieselben geblieben sind, daß sich aber die Inhalte geändert haben.

Insofern gilt, was schon Nicolaus A. Huber (im Rekurs auf Hegel) erkannte: "dasselbe ist nicht dasselbe". Mag es auch eine Identität der Werke in Hinblick auf ihre Intentionalität geben, mag ihre Intentionalität auch durchgehend eingebunden sein in eine aufs Religiöse gerichtete, diskursive Haltung zur Wirklichkeit, so artikulieren sich doch in zwei unterschiedlichen Phasen mit formal und materiell zu unterscheidenden Werken unterschiedliche Erscheinungsformen dieser Identität, die in ihrer Differenz ästhetisch gewürdigt werden wollen. In dem Maße indessen, wie die Werke sich denselben Intentionen verdanken, dürften sie zu der Erwartung berechtigen, daß die Erfahrungen, die mit der Musik Pärts zu machen sind, diejenige einschließen, daß ihre Einheit gerade im Widerstand gegen all jene Assimilationen bestehen könnte, denen sie in der Rezeption unterliegt.

Mit der Verpflichtung auf das Ideal der Klarheit ist Pärts Musik - nimmt man seine Spiegel-Theorie beim Wort - seit 1976 nicht nur ein selbsttherapeutischer, sondern auch ein pädagogischer Anspruch eingeschrieben, dessen Begründbarkeit diskutiert, dessen zumindest partielle, auf ästhetischem Wege hervorgerufene und zumindest im ästhetischen Bereich realisierte Wirksamkeit nicht bestritten werden kann.

Die Gründe für diese Wirksamkeit liegen in der Eigenart des Tintinnabuli-Stils hinsichtlich der Dimensionierung des Hörens, die er intendiert. Charakteristisch für diesen Stil ist eine Assimilation der für die Wahrnehmung von Musik konstitutiven Kategorien Raum und Zeit. Indem die Progression des Melos in die Kontinuität ein und desselben Klangs eingehüllt wird, der sich zwar ausdehnt oder verengt, nicht aber fortschreitet, der somit also lediglich seine räumliche Extension verändert, wird der Veränderung des Melos in der Zeit, seiner Progression, eine Statik entgegengestellt, die das zeitliche Kontinuum als Variante des Raums - und umgekehrt - erscheinen läßt. Die in diesem Kontext auftretenden Zusammenklänge entfalten trotz ihres Wechsels von Konsonanz und Dissonanz kein harmonisches Spannungsfeld, sondern konfigurieren als Klangphänomene, als Varianten eines Zustands. Zeit erhält dadurch ihre Gestalt nicht durch Veränderungen von Spannung und Entspannung; vielmehr erwirkt Pärt sie durch Veränderung von Proportionen.

Da diese nach einfachen, aber mehrdimensional entfalteten mathematischen Maßgaben organisiert werden, dringt ein Moment rationalistischen Kalküls in die Kompositionen ein, das seltsam quersteht zu ihrem Gestus elementarer Gegebenheit - jenem Gestus, der sie zu Trägerinnen auch religiöser Haltung werden läßt.

Indessen kann gerade diese Rationalität als ein zentrales Moment Pärt'scher Musikproduktion begriffen werden. Nicht nur religiöse Haltung erscheint als eine Angelegenheit des Denkens; auch die Wahl von Material und Technik erfolgt zielgerichtet unter der Prämisse des Wohlklangs - gegen den Widerstand einer geschichtlichen Entwicklung, die dem Material längst anderes eingeschrieben hatte. Was als Anpassung an die Hörgewohnheiten derer erscheinen mag, die Arnold Schönberg als Mehrheit bezeichnete, kann als logische Konsequenz aus dem Wunsch gedeutet werden, Menschen die Assimilation des Werks an ihr Hörverstehen ohne nennenswerte Behinderungen durch Sperriges, Ungewohntes, gänzlich Fremdes möglich zu machen.


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