- 52 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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die eine Musik ermöglicht, und den Bedingungen, unter denen ihre Rezeption jeweils stattfindet, Bezug nahm:

Ëigentlich ist Musik ein Spiegel unserer Seele, und diese spiegelt das, was um uns vorgeht. Wenn der Spiegel klar ist, dann sieht man mehr, und ist er getrübt, sieht man eben weniger. Der Wert von Musik besteht darin, solche Zusammenhänge aufzeigen zu können." (Pärt in Wallrabenstein 1991, 34)
Geht man in diesem Sinne davon aus, daß die Musik, die ein Komponist schreibt, ein Spiegel dessen ist, was er an Musik und Wirklichkeit, die ihn umgibt, wahrnimmt, so wäre musikalische Produktion nichts als eine Assimilation ans Gegebene; die Prämisse allerdings, mehr sehen zu wollen, führt dazu, einen klaren Spiegel herstellen zu müssen: eine musikalische Umgebung zu schaffen, deren Spiegelung in der Seele diese klärt, so daß aus dieser Klarheit wiederum eine gereinigte Musik hervorgehen kann.

Nicht abwegig erscheint von hier die Annahme, Pärts Schaffen von den Collagen bis zu der gegenwärtigen Produktion sei eine sukzessive und kontinuierliche - wenn auch mehrperspektivische - Annäherung an eine Musik, die es ermöglicht, nicht nur den Komponisten selbst, sondern auch den Hörer so in die Rezeption einzubinden, daß keine anderen als ungetrübte Gedanken möglich sind.

Die These der Kontinuität Pärt'schen Komponierens wird durch mehrere Hinweise unterstützt: So ließ er 1985 verlauten, er habe - gleichviel ob in den frühen neoklassizistischen oder seriellen Versuchen, in den Collage-Arbeiten oder in den Tintinnabuli-Werken - ïmmer dasselbe gesucht"(Pärt in Herbort 1985, 44). Und 1991 bekannte er: "Die Musik, die ich heute schreibe, hat mir schon damals vorgeschwebt, aber ich war noch nicht so weit, sie selber zu realisieren."(Pärt in Wallrabenstein 1991, 32)

Als ein Signum des Verfahrens, dem sich Pärts Musik prinzipiell verdankt, läßt sich die Tendenz bezeichnen, das je Gegebene - sei es Bachs Musik, sei es Clustertechnik, Gregorianik oder Kanontechnik - so zu assimilieren, daß im Ergebnis mit Klarheit hervorscheint, worin es sich vom Gegebenen abhebt. So bringt die geformte Tatsächlichkeit der Collagen, ihre deutliche Kontrastdramaturgie, die Widerständlichkeit zeitgenössischen Materials und aktueller Kompositionstechnik gegen das Ideal einer großen Musik, wie Pärt sie in der Bachs sah (und umgekehrt), zum Vorschein, und so artikulieren die Tintinnabuli-Werke mit der Ruhe der Gewißheit eine deutliche Differenz zu dem, was andere als den Stand des Materials bezeichnen würden.

Ein anderes Signum ist das Prinzip, mit dem Ordnung hergestellt wird. Es zeigt sich als ein Überdauerndes in den Gemeinsamkeiten etwa zwischen dem Credo von 1968 und Tabula rasa von 1977. In beiden Kompositionen wird das musikalische Material nach einfachen mathematischen Prinzipien der Addition und Subtraktion geordnet. Erweist sich in der älteren Collage das Material noch als sperrig gegenüber einem solchen Verfahren insofern, als in den Versatzstücken die ursprüngliche Formtendenz des Materials sowohl der tonalen als auch der atonalen Partien einem derart statischen Ordnungsverfahren Widerstand entgegensetzt, so erscheint die spätere Komposition als Ergebnis der Assimilation eines - freilich anderen - Materials an die Prämissen der Kompositionstechnik, tritt es doch nicht anders als in der Schrittfolge der Tonleiter und in der Statik ruhend bewegter Dreiklänge in


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